Jump to content
The Great War (1914-1918) Forum

V 188 -- Meine Torpedoboot-Kriegsfahrten


Ken S.

Recommended Posts

V 188
Meine Torpedoboot-Kriegsfahrten


von

Callisen
Kapitänleutnant und Kommandant


Inhalt
Vorwort . . . . . . 7
Kriegsanfang . . . . . . 12
Auf Vorposten . . . . . . 17
Der erste Feind . . . . . . 26
Feuertaufe . . . . . . 29
Sturmflut . . . . . . 37
In Seenot . . . . . . 42
Whitby-Hartlepool . . . . . . 46
Weihnachten . . . . . . 56
Minen ringsum . . . . . . 64
Gerammt . . . . . . 67
Marineflieger . . . . . . 75
Die Ems . . . . . . 80
Windau . . . . . . 90
Schlecht Wetter . . . . . . 95
Mit S. M. S. „Bremen“ gesunken 103


Vorwort

„Sind Sie auf einem Torpedo?“
Immer die gleiche Frage im Inland, immer wird der Torpedo mit dem Torpedoboot verwechselt. Und jedesmal gibt’s uns Angehörigen der „öligen Kunst“ einen Stoß ins Herz, so wenig Verständnis zu finden. Liegt’s an der Gleichgültigkeit allein? Ich möchte es kaum anehmen — vielmehr an unserer Geheimniskrämerei und an der Eigenart und Abgeschlossenheit unseres Tuns. Die Artillerie kennt ein jeder, weil ein jeder ihr Schießen einmal gesehen oder gehört hat, weil sie seit Jahrhunderten besteht, weil wir mit ihr leben von der „Faulen Grete“ bis zur „Dicken Berta“.
Uns, die wir auf hoher See unsere Übungen machen, bekommt kaum ein fremdes Auge zu Gesicht, hat doch der alte Seemannsaberglaube bei uns im besonderen die Frucht gezeitigt, daß ein Torpedo sich in seinem Dackelsinn das Zuschauen eines „Badegastes“ nicht gefallen läßt. Darum ist es streng verpönt, sei es wo es sei, zum Torpedoschießen einen Gast mitzunehmen, der Torpedo würde sicher in den Grund gehen und somit seinen Beruf verfehlt haben. [8]
Erst der Krieg hat einige Aufklärung geschaffen, nachdem ein unglückseliger Zeitungsschreiber das wenig schöne und uns Spezialisten vollkommen unbekannte Wort „torpedieren“ ausgerechnet aus dem Englischen übernommen hat und wir es heute in jedem Blatt und Blättchen täglich vorgesetzt bekommen.
Der Torpedo ist also nicht gleichbedeutend mit dem Torpedoboot, sondern lediglich der Namenspender für ein Fahrzeug, das ihn in seinen Jugend- und Entwickelungsjahren als Hauptwaffe trup. Heute bildet er, wie wir alle wissen, auch für das U-Boot die vornehmste Waffe, und alle Kriegsschiffe vom Linienschiff bis zum Hilfskreuzer führen Torpedos im steten Wettstreit mit der Schwester Barbara. So haben S. M. S. „Meteor“ und „Greif“ ihre Gegner durch Torpedoschuß vernichtet.
Der Torpedo hat die unglaublichsten Entwickelungstadien durchgemacht, bis er schließlich heute bei allen Marinen das gleiche Gesicht und im Prinzip die gleiche Antriebskraft bekommen hat. Zuerst trat er im amerikanischen Freiheitskrieg auf als Treibtorpedo — etwa die heutige Treibmine — dann wanderte er über den Raketentorpedo und Spierentorpedo zum heutigen Geschoß mit eigener Antriebskraft.
Es ist daher auch eine Preisfrage, die noch keiner einwandfrei gelöst hat: Was ist ein Torpedo? Heute versteht man darunter ein Unterwassergeschoß mit bedeutender Sprengladung, das sich durch eigene Maschinenkraft vorwärts bewegt. In seinen Jugend- [9] jahren fehlte ihm diese eigene Antriebskraft jedoch, damals war er lediglich ein Sprengkörper, der der Wasserströmung übergeben oder aber durch besondere Träger an das Angriffsobjekt herangetragen wurde.
Erst in den 70er Jahren wurden die ersten Torpedos mit eigenem Antrieb fertiggestellt, die im großen und ganzen die gleichen Formen hatten wie die heutigen: eine mächtige Zigarre von mehreren Metern Länge, früher reine Bronze, heute aus anderen, stärkeren Legierungen. Im Prinzip besteht er aus drei Teilen: vorn der Kopf mit etwa 100 bis 150 kg Sprengladung, dann ein bedeutender Luftkessel, angefüllt mit gepreßter Luft, dem Triebstoff für die Maschine, und endlich hinten die Maschine mit ihren unzähligen Maschinen und Ventilen zum Regeln der Luftzufuhr, der Schmierung, der Steuerung für Tiefen- und Gradlauf. Den Schluß bilden dann die Triebschrauben und Tiefen- und Geradlaufruder, wie wir sie im Großen bei den Luftschiffen sehen.
Dieses Geschoß wird auf dem Schiff in langen „Ausstoßrohren“, teils über, teils unter Wasser, mitgeführt und beim Schuß durch Luft- oder Gasdruck „ausgestoßen“, also ins freie Wasser befördert. Hier setzt es selbsttätig seine gesamten Maschinen in Betrieb und bleibt sich selbst überlassen. Wenn es nicht so läuft, wie es soll, dann kann der Schütze nur einen derben Seemannspruch hinterdrein schleudern, aber mit seiner Macht ist’s aus.
Die Stärke des Torpedoschusses besteht naturge- [10] mäß in seiner großen Sprengwirkung, die dadurch, daß die Detonation unter Wasser erfolgt, noch erhöht wird, und in seiner geringen Sichtbarkeit, die dem angegriffenen Schiff ein Ausweichen sehr erschwert. Ganz unsichtbar, wie etwa die verankerte Mine, ist der Torpedo jedoch nicht. Die in den Maschinen verbrauchte Luft steigt, sobald sie den Torpedo verläßt, an die Wasseroberfläche und kennzeichnet den Weg des Torpedos durch eine deutliche Blasenbahn. Je stiller die See, desto besser ist sie zu sehen, desto eher die Möglichkeit für den aufmerksamen Seefahrer, dem Torpedo auszuweichen. Bei einem späten Erkennen der Blasenbahn ist aber auch ein Ausweichen bei einer Torpedogeschwindigkeit von 30 bis 40 Seemeilen nicht mehr möglich.
Dies gilt selbstverständlich nur für das Tageslicht, zur Nachtzeit ist die Bahn niemals so rechtzeitig zu erkennen, daß ein Ausweichen noch möglich wäre.
Das Torpedo„boot“ hat nun seinen Namen erst von der Waffe bekommen. Ganz zutreffend ist freilich dieser Name heute nicht mehr, es sind schon stattliche Schiffe geworden von mehr denn 100 Meter Lände. Der Name ist aber aus alter Anhänglichkeit an die Erstlinge bei uns nicht geändert; unsere Gegner hingegen haben den Namen nur für die kleinen 30-50 Meter langen Fahrzeuge beibehalten und die neueren, größeren Typen „Zerstörer“ genannt. Im Grunde ist aber alles das gleiche. Alle haben eine starke Torpedo-Armierung, eine verhältnismäßig schwache Artillerie-Armierung. [11]
Das Boot soll die Torpedos so nahe, wie es die Verhältnisse irgend gestatten, an das Ziel herantragen, um das Treffen möglischst zu erleichtern. Seine Hauptstärke ist deshalb die große Geschwindigkeit neben dem Bestreben, es in seiner äußeren Farbe den Beleuchtungsverhältnissen anzupassen und dem Späherauge des Gegners möglischst lange verborgen zu halten. Demgemäß ist unser Element die Nacht; dann holen wir, wie unser alter Torpedo-Admiral so gern sagte, „den Deubel aus der Hölle“. Wenn uns nur unsere Gegner Gelegenheit dazu geben wollten! Leider weiß er nur zu genau, was ihm blüht. Deshalb hat er sich noch niemals bei Nacht in erreichbarer Entfernung blicken lassen, und damit haben sie uns Torpedobootsführern eine gar arge Enttäuschung bereitet. Der Nachtangriff, auf den wir uns Jahr um Jahr durch anstrengende Manöver vorbereiteten, bedeutete uns das Höchste, das unser Beruf uns bieten konnte. So aber stellte uns der Krieg vor Aufgaben, die uns früher recht nebensächlich erschienen wären. [12]

Kriegsanfang

„Befehl von der Flotille: „V 188“ soll heute Abend 8 Uhr in See gehen!“
Vor mir steht der Bursche. Es ist am Sonntag, dem 26. Juli 1914, nachmittags 6 Uhr.
Zu andern Zeiten wäre ich über diese Störung der schönen Sonntagsruhe wohl wenig erfreut gewesen, aber heute konnte ich nicht schnell genug nach der Wik kommen, wo im Torpedobootshafen die Flotillen auch im Frieden gefechtsbereit sich ausruhen von schweren Nacht- und Sturmfahrten. Bei meiner Ankunft fand ich die Mole schwarz von Kameraden aus den großen Kasernenanlagen. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß am Abend Boote mit einem Sonderauftrag in See gehen sollten. Dort hatten sich auch schon die Kommandanten der beiden andern Boote eingefunden, die den gleichen Befehl erhielten wie ich.
Schönere Zukunftspläne sind wohl kaum je geschmiedet, höhere Luftschlösser kaum gebaut worden als zu jener Abendstunde. Was konnte näher liegen, als unsere Entsendung mit der Anwesenheit der französischen Kriegsschiffe in der Ostsee anläßlich des Prä- [13] sidentenbesuches am Zarenhof in St. Petersburg und am Königshof in Stockholm in Verbindung zu bringen!
Mit Spannung erwarteten wir unsern Flottillenchef, der selber mitfahren wollte. Doch diese erste Fahrt sollte uns eine Enttäuschung bringen: Wir bekamen strengen Befehl, bei einer Begegnung mit fremden Kriegsschiffen unter keinen Umständen von unsern Waffen Gebrauch zu machen. Aber dadurch ließ sich unsere Freude an unserm ersten Auftuag nicht niederschlagen: stolz erhobenen Hauptes, in dem Gefuehl, von allen Zurückbleibenden brennend beneidet zu werden, legten wir ab, um den Schiffsverkehr durch den Fehmarnbelt zu beobachten. Mit geradezu vorbildlicher Sorgsamkeit wurde das Boot abgeblendet, so daß auch kein noch so dünner Lichtstrahl sich hinausstehlen konnte ins Freie, um Unbefugte vorzeitig auf uns aufmerksam zu machen. Kein Fünkchen, kein Rauch entstieg den Schornsteinen; wie Gespensterschiffe schlichen wir durch die Nacht. Nicht achtend blickten wir auf eine andere Flotille, die nach Kiel gerufen, uns mit höchster Fahrt entgegenkam — hatten mir doch Kurs gegen den Feind!
Schon unzählige Nächte hatte ich in meiner damals bereits siebenjährigen Torpedobootszeit auf der Kommandobrücke gestanden, un ungezählte, weit spannendere sollten im Kriege noch folgen.
Von der gesamten Besatzung war, soweit der Dienst sie nicht unten hielt, keiner von Oberdeck hinunter zu prügeln. Jeder wollte etwaige fremde [14] Kriegsschiffe als erster sehen. Schließlich mußte ich ein Machtwort sprechen, die Freiwache unter Deck schicken. Ihr Warten wäre auch vergeblich gewesen. Die Sonne ging auf, ohne daß sich ein Kriegsschiff hätte blicken lassen.
Da der Tag klar war und demgemäß der Fehmarnbelt bequem von einem Boot überblickt werden konnte, liefen die beiden andern Boote ein; ich wurde zurückgelassen. Als wir so einsam auf weiter Flur lagen und in den schönen Sommertag hineinträumten, brachte ein F.-T.-Gast (Funken-Telegraphie-Gast) mir einen offenen französischen Funkspruch von dem Linienschiff „France“ an den Eiffelturm, in dem der Präsident für den 29. seine Ankunft in Dünkirchen ankündigte, einen Sonderzug bestellte und dgl. mehr.
Lange konnten die Franzosen also nicht auf sich warten lassen, wollten sie rechtzeitig eintreffen. Und siehe da, um 11 Uhr 30 vormittags erschienen im Südosten, fern unter dem Horizont, die Mastspitzen zweier Schiffe. Mit höchster Fahrt kamen sie heran, die beiden Linienschiffe „France“ und „Jean Bart“; der kleine Kreuzer und die beiden Zerstörer waren jedenfalls bereits durch den Sund abgebogen. Die „France“ führte am Großmast die Flagge des Präsidenten. Wenige Stunden vorher war S. M. Y. „Hohenzollern“ mit unserm Allerhöchsten Kriegsherrn an Bord von Norwegen durch den „Großen Belt“ gekommen. Eine glückliche Fügung hatte diese eigenartige Begegnung verhütet. [15]
Die nächsten Tage ließen in uns wieder friedlichere Pläne aufkommen. Am 29. Juli ging ich mit zwei andern Booten nach Warnemünde, wo eine Wasserflugwoche abgehalten werden sollte. Wir sollten den Sicherheitsdienst bei den Flugaufgaben versehen.
In vergnügtester und auf Lustbarkeiten eingestellter Stimmung verließen wir Kiel. Als das Wachtschiff vor dem Hafen anfragte, wohin wir wollten, anwortete einer von uns noch harmlos: „Nach Warnemünde zum Tanzen.“
So ganz unrecht hatte er ja nicht, nur wurde aus diesem Tanz sehr bald ein Waffentanz. Schon am 30. bekam ich 6 Uhr abends telegraphischen Befehl, sofort nach Kiel zurückzukehren. Meine Leute waren gerade auf Urlaub. Ich schickte also Läufer in der ganzen Stadt umher, die auf einer Batteriepfeife den Ruf meines Bootes pfiffen, das verabredete Zeichen für ein beschleunigtes Anbordkommen. Die Folge war, daß natürlich auch halb Warnemünde an die Boote kam und sich die Vorbereitungen anschaute.
Nachdem beschleunigt Dampf aufgemacht war, liefen wir aus und passierten den langen Schlauch der Hafeneinfahrt, dessen Molen schwarz voll Menschen waren. Hätten die Badegäste geahnt, welche unendliche Freude sie mir und meinen Leuten mit ihrem herzlichen Verabschieden bereitet, sie hätten wohl noch begeisterter gewinkt und Hurra gerufen. Wie unendlich habe ich seither die Armeetransporte beneidet den Abschied, der ihnen auf allen Strecken und Haltestellen geboten wurde. Wir sollten auch beim Aus- [16] zug ins Feld unserm Beruf treu bleiben: tiefe Heimlichkeit überall. Von unserm Auslaufen später hat selbst in Kiel kein Mensch etwas gemerkt.
Nachdem wir von unserm kurzen Vergnügungsausflug zu nächtlicher Stunde zurückgekehrt waren, fanden wir in Kiel den Torpedobootshafen in vollster Tätigkeit. Ausrüstungsgegenstände, die hier und da noch fehlten, wurden an Bord genommen, Brennbares abgegeben; jeder wollte sein Boot noch nach Kräften verbessern.
In der folgenden Nacht liefen wir aus nach Brunsbüttel, wo auch wir einige Tage später die Mobilmachung, die ganz Deutschland in Bewegung setzte, miterlebten. Und dann läuteten uns die Kirchenglocken der umliegenden Dörfer ein Abschiedlied, so manchem zum frühen Tod. Wir indessen mußten untätig bleiben, bis auch England sich offen auf die Seite unserer Feinde geschlagen hatte. [17]

{Fortsetzung folgt}

Link to comment
Share on other sites

Auf Vorposten

„So faul hatte sich wohl niemand von uns den Torpedobootskrieg gedacht.“
„Nur abwarten! Nach einer Wocke liegen wir hier nicht mehr beisammen. Dann haben wir den ersten scharfen Schuß „gelöst“.“(1)
Die nächste Zukunft nahm natürlich unser ganzes Denken in Anspruch, als wir Kommandanten von zwei Flottillen uns am Sonntagmorgen auf dem Deich bei Brunsbüttelkoog sonnten. Unter dem Lotsenhaus standen die alten wetterharten Seebären mit ihren altertümlichen Kiekern, ererbt von ihren Vorvätern, und schauten fluchend jedem englischen Dampfer nach, der stromabwärts fuhr.
Es war aber auch ärgerlich, einen Engländer nach dem andern auslaufen zu sehen. Gegen uns gehen wird er ja doch. Weshalb halten wir dann da nicht die Dampfer fest?!
Die Zornesausbrüche waren umsonst erfolgt. [18]
Ein Passieren Brunsbüttels hieß noch lange nicht Auslaufen. Und so feierten wir denn mit all’ diesen Dampfern freudiges Wiedersehen, als sie wieder stromaufwärts Hamburg zusteuerten.
Endlich am 4. August äußerte sich auch England zur Sache.
„Alle Flottillen ausschleusen!“
Hurra! Jetzt geht’s los! Heute Nacht werden wir zeigen, was wir gelernt haben!
Doch wir hatten unsere Rechnung aufgesetzt ohne den Gast, weil wir ihn gar zu sicher erwarteten. Er sollte uns arg, sehr arg enttäuschen.
„Auf Altenbruch-Reede ankern.“
Also immer noch nicht hinaus.
Na, mit Beginn der Dunkelheit würde es sicher kommen!
Gemeinheit! Gerade Vollmond heute! Den konnten wir schwarzen Gesellen nun gar nicht gebrauchen.
Der Befehl zum Auslaufen blieb aus. Statt am Bollwerk im Kanal lagen wir hier zu Anker, sehr wesentlich war der Unterschied da nicht.
Da klopft jemand erregt an meine Kajütstür.
„Was ist los?“
„Herr Kapitänleutnant, Flieger im Mondschein.“
Das hatte ich allerdings nicht erwartet als erste Kriegsmeldung.
„Wo?“
„Stromaufwärts.“
„Ach was, Unsinn. Uns werden sie wohl nicht treffen.“ [19]
Und damit legte ich mich auf die andere Seite.
Flieger über der Elbe und noch dazu bei Nacht war ja eine Unmöglichkeit. —
Statt unseres ersehnten Nachtangriffs folgte jetzt ein langweiliger Vorpostendienst.
„Der Tag hat 24 Stunden, und wenn das nicht reicht, nehmen wir die Nacht zu Hilfe!“
Oft schon hatten wir diesen vielsagenden Ausspruch im Frieden erfahren müssen, im Kriege aber wurde er uns zur Richtschnur.
24 Stunden waren wir auf Vorposten, ohne Hin- und Rückfahrt, dann einen Tag Helgoland, dann wieder hinaus, in unabsehbarer Folge.
Es war keine Kleinigkeit für das Personal. Immer die halbe Besatzung auf Posten.
Unten sämtliche Kessel in Betrieb, um jeder Zeit zur höchsten Fahrt bereit zu sein, oben Geschütze und Torpedorohre besetzt, dazu nur ein Wachoffizier an Bord.
Es ist ein eigen Ding, wenn man einsam und allein auf weiter Flur herumfährt, 17 Seemeilen (1 Seemeile gleich 1852 Meter) vom Nebenmann ab und über 100 Seemeilen vom nächsten Festungsgeschütz! Da mochten wohl manchem eigene Gedanken kommen.
Es ist ein prickelndes Gefühl — wie Selterwasser, „wie Schuum“, würde ein Leutnant sagen — wenn man so allein auf einem Pulverfaß auf Posten steht!
Pulverfaß! Ja, weiß der Kuckuck, wann und wo der Feind seine Minen gelegt hat. Eine flüchtige [20] Berührung, und hinüber ist man! Da hat das einzige kleine Boot, das „Dingi“ mit seinem Platz für 6 Mann, wenig Wert, und Schwimmwesten anlegen, verlängert nur die Qual.
Aber erstaunlich schnell gewöhnt man sich daran und tut es ab als unvermeidliche Fügung. Sehen kann man die Eier unter Wasser doch nicht — weshalb dann sich drum bekümmern!
Viel wichtiger ist das Ausgucken nach feindlichen Schiffen. Dazu sind wir ja da! Einen anrückenden Gegner rechtzeitig melden, damit der Flottenchef seine Maßnahmen treffen kann!
Wenn wirklich ein oder ein paar Boote dabei draufgehen, was macht denn das! Ist es mit den Kavalleriepatrouillen der Armee anders?
Und daß uns einer bei Nacht etwas anhaben kann, das glaubt keiner, der die rote Biefe trägt. Denn darauf sind wir gefaßt. Unsere Friedensausbildung macht uns keiner nach. Nachts kommt es einzig und allein darauf an, den andern zuerst zu sehen.
Und aufpassen würden wir schon!
„Unten erstickt man“, ächst auf die Brücke kommend der H. I. (Halbflottilleningenieur), nebendienstlich erwählter Messevorstand (Verpflegung und Getränke, die auf Kriegsschiffen von einem Offizier besorgt werden müssen), Kriegsberichterstatter und Skatkassenverwalter.
„Das tut Ihnen gut, sehen Sie sich auch einmal den Mond nach Mitternacht an.“ [21]
Ich glaub’s schon, daß die Luft dem normalen Menschen unten ausgeht.
Die Messe liegt voller Leute, die Freiwache ist es, die Geschützbedienung für das Achterschiff. Angezogen liegen sie in den Offiziersräumen an Deck(2), in idyllischem Durcheinander mit scharfen Granaten, Pistolen und Entermessern. Müssen sie doch in kürzester Zeit auf ihren Gefechtstationen sein können.
„Leisten Sie mir doch mal 24 Stunden Gesellschaft hier oben.“
„Ich lenke nur Herrn Kapitänleutnants Aufmerksamkeit ab. Das kann ich doch nicht verantworten.“
„Na ja! Entschuldigungen sind lang wie Stroh!“
Auch diese Nacht geht vorüber, und zwar recht schnell, weil wir noch August schreiben.
Mit der Morgendämmerung kommt für uns die kritische Stunde: Zum angriff ist’s zu hell, man würde abgeschossen, bevor man heran ist zum Schuß, und zum „Auskneifen“ sichtet man den Gegner nicht rechtzeitig genug. Jede Minute macht die Sichtigkeitsverhältnisse günstiger, und wenn der Gegner auf seinen dicken Schiffen sich nicht gar zu schwerfällig anstellt, so schickt er einem doch noch ein paar großkalibrige Salven nach.
Und dann ist’s heller Tag.
Die Kimm (Horizont) rings umher frei, kein Fahrzeug zu sehen. [22]
„Ich ziehe mich in meinen „Salon“ zurück“, sage ich zum wachthabenden Offizier, d. h., ich setze mich in eine Ecke auf den Kasten für Signalpistolenmunition und nehme unter Gottes freiem Himmel „ein Auge voll“, zur Beruhigung der ganzen Besatzung.
Der „Alte mulscht“, da kann also nichts los sein.
Lange sanfter Knuff „purrt“ mich. Mein biederer Bursche.
„Wann soll ich Herrn Kapitänleutnant Frühstück bringen?“
„Seemann, deshalb hätten Sie mich nicht zu wecken brauchen!“
„Ich dachte“…
„Denken ist Glückssache! Bringen Sie’s gleich!“
Mit ein paar gestrichenen Scheiben kommt er wieder herauf. Das soll mir munden nach der langen Nacht.
„Pfui, wie schmeckt denn das Brot?!“
Richtig, da hat er vergessen, die Rinde abzuschneiden, und nun sitzt noch Öl, Teer und Kohlenruß vom An-Bord-Mannen des Brotes dran, alles, was an einer echten schwarzen Matrosenfaust auf einem Boot klebt.
Ja, ist die meine denn viel besser?
Ich müßte lügen, wenn ich das behaupten wollte. Und aus dem Spiegel lacht mir ein kohlschwarzes Gesicht entgegen, bedeckt von einem Gemisch von Ruß und Öl aus dem vorderen Schornstein, der nur wenig höher ist als die Brücke. [23]
„Meinetwegen dürfte die Ablösung jetzt kommen.“
„Wollen wir nicht schon etwas nach der Heimat halten?“ fragte meine einzige Stütze, der Wachoffizier.
„Scheinwerfer recht voraus“, ruft ein Signalgast.
„Gottlob, da ist er! Steuermann, Kurs nach der Heimat!“
Sein verknittertes Gesicht frischt sich auf. OSO 7/8 O(3) ertönt’s. Lange schon hat er den Kurs abgesetzt! Schade nur, daß er ihn nicht noch genauer festlegen kann!
Heimwärts geht’s, nach Helgoland, damit wir erst einmal den leeren Magen des schwarzen Rosses wieder mit Kohlen füllen und dann — schlafen.
Aber wieder fällt das Schlafen aus.
„Nach dem Kohlen sämtliche Flottillen auslaufen!“
„Der Funkenpuster soll kommen!“
„T. L.-Gast meldet sich zur Stelle.“
„Ist ein wichtiger Funkspruch gekommen?“
„Nein, Herr Kapitänleutnant.“
„Auf dem Nebenboot fragen. Vielleicht haben Sie ihn überhört.“
„Station ist immer besetzt gewesen.“
„Also wieder eine Exerzierübung“, brumme ich in meinen Bart — aber nein — ich habe ja keinen.
Exerziert haben wir doch im Frieden genug!
Ganz unbegreiflicherweise fragt der Flottenchef uns niemals nach unserer Ansicht. [24]
„1. Halbflottille zum 2. Geschwader“.
„Führerboot hat Signal zum Durchbruch!“
„Ich nehme das Kommando! Bootsmaat der Wache, vordere Decke räumen!“
Die Schiffe fahren in Kiellinie mit etwa 200 Meter Abstand zwischen sich. Wir sollen auf die andere Seite der Linie.
Ruderkommando: „Steuerbord 20! Beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“
Verflucht! Ich muß gerade durch die Lücke vor dem Schwenkungspunkt, an dem jedes Schiff, dort angekommen, rechts um macht, so daß die ganze Linie nachher 90 Grad andern Kurs hat.
Verflizt eng ist die Lücke!
Es hilft nichts, hindurch muß ich. Wenn ich eine andere Lücke nehme, fahre ich meinem Nachbarboot vor dem Bug.
Der Großmast des Schiffes, hinter dem ich hindurch will, ist recht voraus.
„Recht so! Nach Kompaß!“
„Beide Maschinen zweimal äußerste Kraft voraus!“
Scharf schaue ich nach vorn und nehme mir gleichsam als Visier auf meinem Boot eine feste Linie.
Noch wandert das Schiff seitlich aus.
Jetzt steht es.
„Steuerbord 5!“
Ein wenig dreht mein Boot nach dem Heck des Schiffes. Jetzt wird’s genug sein.
„Recht so!“ [25]
Mit rasender Fahrt jagen wir auf das Linienschiff zu.
100 Meter sind noch zwischen uns.
50 Meter!
Langsam wandert es seitlich aus.
20 Meter!
Ob’s klar geht?
Ein Meter hinter dem Heck schneidet unser Vorsteven dessen Kielwasser.
Auf der Schanze des Panzerschiffes stehen ein paar Offiziere und grüßen — nein — heute schwenken sie die Mütze als Anerkennung.
Ein „Badegast“ knipft.
„Das war für mich der schönste Augenblick in meinem Marinedasein“, sagt mir der Arzt einer andern Halbflottille, der vorübergehend bei mir eingeschifft ist.
„Ja, ein anständiger Durchbruch ist und bleibt das schönste bei der Torpedobootswaffe.“ [26]

Der erste Feind

Wieder einmal hatten wir unsern fünftägigen Wachtörn hinter uns und hielten auf die Jade zu. Spiegelglatte See. Ein wundervolles Wetter. Wieder einmal auf der Brücke träumen und abrücken mit seinen Gedanken von den Gefahren des Krieges…
Aber die Wirklichkeit… Schon schreckt der Pfiff aus der Funkenbude das gesamte Brückenpersonal hoch und versetzt uns zurück in die Welt der Tatsachen.
„Feindliches U-Boot südwestlich Helgoland.“ „Weiß der Deubel, mir ist, als ob wir doch noch nicht nach W’haven kommen, totsicher werden wir zum Jagen gegriffen.“
Eben wollen wir in die Jade einbiegen, da kommt’s! Statt links um machen wir rechts um und begeben uns auf die Jagd. Zwar hatten wir schon häufig gejagt, aber gesehen war nie eins. Und gar mancher U-Bootskommandant wird uns durch sein Sehrohr beobachtet und sich gefreut haben über unsere Blindheit.
Was hilft’s! Was befohlen ist, wird gemacht.
„An die Geschütze!“ Ein Befehl mit der Stimme [27] und nicht mit der Alarmglocke. Diese ist nur für die dringenden Fälle da, wenn jeder stehen und liegen lassen soll, was er gerade in der Hand hat, um so schnell wie nur möglich auf seine Gefechtsstation zu eilen.
„Ihr wißt Bescheid! Zehn Mark, wer ihn zuerst meldet!“
Und neu belebt starren die Augenpaare ins Wasser, bald fern, bald nah.
Da! Alles reißt die Köpfe herum. Mein Rottenführer eröffnet ein wildes Maschinengewehrfeuer.
„Signalgast! Winkspruch: K. an K.(4) Was haben Sie.“
Antwort: „K. an K. Ich schieße Blechdosen ab.“
„K. an K. Sie sind…“
Aber ganz unrecht hatte er nicht. Die Unsitte, die leeren Konservendosen über Bord zu werfen, hat zu manchen Alarm und zu manchem Ausweichmanöver geführt. Auf große Entfernungen hat so eine Büchse viel Ähnlichkeit mit einem Sehrohr.
Genug, unsere Jagd ging weiter, und jeder schwor, daß der Unglücksmann, dem wir infolge seiner Meldung unsere Fahrt verdankten, nur diese Blechdose gesehen hatte.
Plötzlich zeigt mein Ausguck an Steuerbord ins Wasser und ruft: „Ein Sehrohr“.
So eine Frechheit von dem Kerl!
Ganz langsam hob es sich aus dem Wasser bis [28] zu einer Höhe von einem Meter, keine 15 Meter ab vom Boot.
Bum! Mein erster Schuß im Kriege war gefallen. Gemeines Pech! Wir standen zu nahe daneben, trotz tiefster Senkung der Geschützmündung ging der Schuß zwei Meter drüber hinweg.
Der U-Bootskommandant wird ein erstauntes Gesicht gemacht haben, als ihm sein Sehschlitz von dem aufspritzenden Wasser der Granate besprengt wurde. Er drehte sein Sehrohr herum, mag dann wohl die hohe Wand meines Vorschiffes unmittelbar vor sich gesehen haben und zog erstaunlich schnell das Sehrohr ein.
Durch Ruder- und Maschinenmanöver versuchte ich noch, das U-Boot zu rammen. Aber ohne Erfolg.
Wie sollte ich auch! Unsere Boote gehen etwas über drei Meter tief, das U-Boot steht aber selbst bei ausgefahrenem Sehrohr mit der Spitze seines Turmes wenigstens vier Meter unter der Wasseroberfläche. Unschädlich machen können wir ein U-Boot nur, wenn es eine Störung an der Taucheinrichtung hat.
Immerhin —, wir waren die ersten der Flottille, die den Feind tatsächlich gesehen, die einen Schuß auf ihn abgegeben hatten.
Und nie habe ich freudiger zehn Mark bezahlt. [29]
- - - - -

(1) Beim Torpedoschießen hießt das Kommando zum Feuern: los!
(2) Fußboden.
(3) D. h. Ostsüdost 7/8 Ost. Der Kompaß hat 32 ganze Striche, die alle auf Achtel abgelesen werden.
(4) Kommandant an Kommandant.

{Fortsetzung folgt}

Link to comment
Share on other sites

Feuertaufe

Der 28. August 1914.

Wenig Verständnis herrschte auf der Kommandobrücke nach zwölfstündigem Auslugen für den prächtigen Sonnenaufgang. Wohl alle fünf Minuten führten wir das Glas an die Augen, um den nächtlichen Horizont ringsum abzusuchen nach Rauchwolken oder nach den dunklen Schatten feindlicher Eindringlinge in die deutsche Bucht.
Noch weitere zwölf Stunden, dann war der Vorpostendienst wieder einmal beendet, dann konnte man wieder ausschlafen.
Vorläufig mußte man zufrieden sein, daß der Wettergott es gut mit uns meinte. Eine leichte Dünung wiegte das Boot sanft auf und nieder, so recht geeigne, einen einzuschläfern. Freilich, der blutrote Sonnenaufgang verhieß keinen schönen Tag: Regen oder diesiges Wetter.
Ulli, mein Wachoffizier, durch drei Friedensjahre meine getreue Stütze, hatte Morgenwache. Das gedachte ich dazu auszunutzen, meinen Morgenkaffee nicht, wie gewöhnlich, im Stehen auf der Brücke zu [30] trinken, sondern in der Kajüte, einen Augenblick auszuspannen, neue Kräfte zu sammeln für den Tag.
Aber Mars hatte anders über mein Frühstück bestimmt.
Ich saß noch nicht, als ich an den Erschütterungen des Bootes merkte, daß die Maschinen auf äußerste Kraft gegangen waren.
Kaum war ich an Deck angelangt, da kam mir schon der Läufer entgegen mit der Meldung: „Aufgetauchtes U-Boot recht voraus!“
Richtig, da lag es, schätzungsweise 6000 Meter ab.
„An die Geschütze!“
Zum erstenmal schrillte die Alarmglocke in allen Räumen des Bootes! Wie sie herauskamen, die eben noch übernächtigten Gestalten. Alle Müdigkeit war verflogen. Selbst mein Badegast, der H. I., kam mit ungewohnter Geschwindigkeit heraus, um sich den Feind anzusehen.
Und alle die, deren Gefechtsposten unter Deck war, in der Maschine, den Heizräumen, den Munitionskammern. Welche Empfindungen mögen sie beherrscht haben? Wie sind wir zu beneiden, die wir oben stehen und sehen können, was da vorgeht! Welch ungeheures, blindes Vertrauen zu dem Kommandanten muß dazu gehören, daß ein jeder dort unten seine Ruhe und seine Siegeszuversicht behält! Oft habe ich darüber nachgedacht, und immer enger hat es mich mit meiner Besatzung verbunden.
Befehl in die Funkenbude. Funkspruch an die Flottille: „Feindliches U-Boot in Sicht!“ Es ver- [31] geht eine Weile, da pfeift’s von unten, und statt der Meldung: „Funkspruch ist abgegeben“, ertönt — ich traue meinen Ohren kaum —: „Funkspruch kann nicht abgegeben werden, der Geber ist eben durchgebrannt.“ So war der erste kriegerische Funkspruch kläglich zuschanden geworden.
4000 Meter.
„Feuererlaubnis!“ Kaum gesagt, da sauste schon der eiserne Gruß zu dem U-Boot hinüber.
„Kurz, Mitte!“ Ein mächtiger Gischt aus Wasser und schwarzem Pulverrauch der krepierenden Granate verdeckte das Ziel.
Wenn doch ein Windstoß die Sprengwolke vertreiben wollte!
Endlich wurde das Ziel wieder sichtbar, aber nur der obere Teil des Turmes ragte noch aus dem Wasser. Das Boot tauchte weg.
Nun hieß es, mit dem Doppelglas die Tauchstelle festhalten, das Sehrohr ständing beobachten, damit wir ihm nicht vor das Rohr kamen und er unsern Kanonengruß mit einem Torpedo erwiderte.
Mit äußerster Kraft ging es auf ihn zu in der Hoffnung, ihn durch Überfahren unschädlich zu machen. Aber kaum 100 Meter waren wir noch entfernt, da zog er sein Sehrohr ein und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Während ich noch über ihm meine Kreise zog und die Hoffnung nicht aufgeben wollte, pfiff’s aus der Funkenbude. [32]
Meldung von Nordflügel: „Feindliche Kreuzer sind durchgebrochen!“
Endlich waren sie da, auf die wir schon vier Wochen gewartet hatten! Und gerade wir auf Vorposten!
Das Wetter wurde immer unsichtiger. Kaum 6000 Meter konnte man sehen. Von meinen Nachbarn, die über sechs Seemeilen ab waren, ahnten wir nichts.
Am Tage als einzelnes Boot ohne jeden Panzerschutz der Feind angreifen, hieße mit einer Nadel gegen einen Ritter in Wehr und Waffen zum Turnier antreten wollen. Also Kurs auf Helgoland! Unterwegs wird schon einer der Nachbarn in Sicht kommen.
„Steuermann, wenn wir halb hin sind, melden Sie es. Dan wollen wir linksum machen und uns den Feind angucken.“
Da meldet Ulli: „Backbord querab zwei englische Kreuzer!“
Sehr parlamentarisch ist meine Antwort nicht gewesen, denn nun war uns der Weg nach Helgoland versperrt. Und das Unangenehme bei der Sache war, daß bei der U-Boots-Unterhaltung meine Kesselfeuer nicht gereinigt waren und daher die Kreuzer ebensoviel liefen wie wir.
Scheinwerfer bei den Engländern. Sie fragen jedenfalls, ob wir Freund sind oder Feind.
„Wollen wir nicht antworten?“ fragte Ulli.
„Ja, nun wollen wir sie „beluern“, machen Sie [33] L. L.“ (Das Friedenssignal zum Beginn von Schießübungen.)
Es hatte Erfolg. Die Engländer mußten das Scheinwerfersignal für die richtige Antwort und mich für ihresgleichen halten. Ihre Granaten ließen vergebens auf sich warten. Sonst wäre es mir auch wohl schlecht ergangen. Immerhin war mir ihre Nähe, etwa 5000 Meter, doch recht ungemütlich.
Wir gehen besser etwas südlicher.
Da kommen noch zwei aus dem Nebel heraus, setzen sich vor die beiden anderen. Das Scheinwerferspiel beginnt von neuem. Doch diesmal ohne Erfolg für mich.
Kaum haben wir unsere Antwort gegeben, da blitzt es drüben auf, und in das Feuer des Spitzenschiffes fallen die drei anderen ein.
Noch sieben Seemeilen ab von Land. Na, da scheint das Weglaufen wohl zwecklos. Ist’s da nicht besser: drauf!? Und wenn dir das Glück wohl will, noch einen mitnehmen mit einem Torpedotreffer, als so lediglich Scheibe zu spielen, das Aufblitzen der Salven zu beobachten und zu warten, wo’s trifft? Unangenehm krachten die Granaten beim Krepieren, und scheußlich grün sehen die englischen Sprengwolken aus.
Ich suche noch einmal den Horizont ab, ob denn von uns niemand in Sicht kommt. Da sehe ich voraus meinen linken Nachbarn. Harmlos, nichts ahnend macht er seinen Vorpostendienst. Wegen meines be- [34] schädigten Gebers konnte ich nur noch hören, aber keine Funksprüche absenden. Deshalb morse ich mit Scheinwerfer hinüber: „Ich werde feindlichen Kreuzern gejagt.“
Er geht jetzt auch auf meinen Kurs, aber läuft nur wenig. Er muß ja meinen Scheinwerferspruch nicht verstanden haben, muß ja blind sein, daß er die Aufschläge um mich her nicht sieht.
Ich laufe ganz nahe an ihm vorbei, rufe ihm meine Beobachtungen zu. Ein Achselzucken ist die Antwort. Einer seiner Kessel versagte, er konnte nicht.
Die Engländer, zu denen sich inzwischen Nr. 5 und 6 gesellt hatten, allerdings nur für fünf Minuten, gingen mit ihrem Feuer auf meinen lahmen Nachbar über, wohl in dem Glauben, daß der Braten ihnen näher hing. Sie schossen sich sehr gut auf ihn ein.
Aufschlag drei Meter neben ihm — nun wird er liegen bleiben! — Aber nein, sein Kessel war wieder in Ordnung, und nun lief er gar noch mehr als wir.
Als er zu uns herankam, ergoß sich der Granatensegen wieder über uns beide. Eine Granate schlug 20 Meter neben meinem Heck ein, ein Sprengstück von Unterarmlänge flog in wirren Drehungen und Windungen über uns hinweg und schlug klatschend vor dem Bug ins Wasser.
45 Minuten dauerte diese wilde Jagd, ohne daß wir beide einen Treffer bekommen hätten. Da [35] bogen die Engländer ab und verschwanden. Warum, ist mir heute noch unerklärlich.
Damit hatten wir Ruhe, aber sie sollte nicht lange währen.
„Backbord voraus drei Zerstörer, Kurs Südwest.“ Also quer vor uns vorüber.
An Steuerbord waren inzwischen die drei andern Boote meiner Halbflottille in Sicht gekommen. Wenn’s brenzlich würde, würden die uns schon helfen.
Die Engländer drehten auf Gegenkurs, zum Passiergefecht.
„Feuererlaubnis!“
Unser Gruß wurde auf das lebhafteste erwidert. Da ich vorn fuhr, schienen die Engländer mich für den Führer zu halten, den man zunächst erledigen muß.
Psss, Psss — so ging’s ununterbrochen vor der Brücke vorüber.
Aber das war doch eine andere Sache, denn jetzt konnte man wiederschießen. Und wir hatten auch die grimmige Freude, zwei Treffer unsererseits beobachten zu können.
Ich selbst habe auch diesmal nichts abbekommen, obwohl der Gegner mir schätzungsweise 150 Granaten geopfert hatte.
Als Haupterfolg aber nahm ich aus diesen Gefechten die Überzeugung mit heim, daß meine Besatzung ihre Feuertaufe prächting bestanden hatte. Mit solchen Leuten konnte ich hinfort alles machen. [36]
Doch brachte dieser Tag mir nachträglich einen großen Kummer. Ulli wurde abkommandiert, um an anderer Stelle für einen Ausgefallenen einen wichtigeren Posten zu versehen.
Ich bekam einen neuen Offizier, der eben aus Südamerika heimgekehrt war — um den frühen Tod zu finden. Doch davon später. [37]

Sturmflut

Gibt es etwas Schöneres für einen Torpedobootskommandanten als bei Windstärke 10 im Helgoländer Hafen mit der Luvseite anzulegen?
Ist ein wenig Selbstbewußtsein nicht berechtigt, wenn man sein schwarzes Roß bezwungen hat gegen Sturm und Strom? So leicht ist es nämlich nicht, mit einem Torpedoboot anzulegen, wenn man vorn und hinten nur zwei Meter Platz hat.
Ich glaube, nur ein Torpedobootsfahrer kann dies richtig einschätzen. Es sieht so einfach aus und ist doch nur zu erlernen durch viele Übung, und selbst dann nur bei geeigneter Veranlagung.
Ihr Großschiffsleute, was wißt ihr vom Manövrieren? Was wißt ihr überhaupt von der Seefahrt, von Ölrock und „Amoretten“, von Erbsensuppe und „Torpedobootspfeffer“?(5)[38]
Turmhoch stiegen die Spritzer, wenn die Brecher senkrecht auf die Südwestmole schlugen. Weithin zerstob der weiße Gischt über den Innenhafen.
Höher und höher stieg die See, als wolle sie auf jeden Fall die mächtigen Betonblöcke verrücken und sich Bahn brechen zu uns, die wir behaglich Schutz gefunden.
Zu dreien lagen wir nebeneinander hinter der Mole und hatten jeder vorn und hinten unsere stählernen Ankertroffen als Festmacheleinen ausgebracht.
Die Zeit des Hochwassers ging vorüber. Mit jedem fallenden Zentimeter schauten die Boote weniger hoch über die Mole und nahmen dem Sturm immer mehr Angriffsfläche.
Die Nacht fiel in die Zeit des Niedrigwassers. So konnte die ganze Besatzung mit Ausnahme weniger Posten zur Ruhe geschickt werden.
6 Uhr morgens würde wieder Hochwasser sein.
Aber bis dahin mußte der Sturm bachlassen oder doch wenigstens auf Nordwest gedreht haben, so daß wir ungestört hinter der Insel liegen würden.
Um 4 Uhr ließ ich mich wecken. Der Wettergott hatte uns ein Schnippchen geschlagen.
Also noch einmal sollte die neue Hafenanlage die Flut über sich ergehen lassen und Beweis davon ablegen. daß sie allen Angriffen trotzen würde. Diesmal aber mußte es noch ärger werden — und noch prächtiger anzusehen sein, weill das Wasser sich in der deutschen Bucht angestaut hatte.
Ich lag als äußeres Boot, würde also, falls die [39] Leinen diesmal brechen sollten, als erster ablegen müssen. Deshalb ließ ich die Maschinen klarmachen und blieb auf der Brücke.
Die Flut stieg, und mit ihr wuchs die Angriffsfläche der Boote für den Wind.
Noch hatte sie ihren Höhepunkt nicht erreicht, als es auch schon im Hafen lebendig wurde.
Mit lautem Krach brachten die Leinen bei unsern Hinterleuten, sie liefen in den Innenhafen, der eigentlich schon überfüllt war durch due Flottillen, die vor uns eingelaufen waren.
Dann folgten unsere Leinen.
Mit vieler Mühe brachte ich mein Boot längsseit von einem Kohlendampfer, der mich unter seine Fittiche nahm. Mit kräftigen Fendern und armdicken Trossen hielten wir uns.
Andere liefen aus und ließen draußen See auf See über sich ergehen.
Den Booten im Innenhafen wurde der neue Besuch sehr bald lästig. Sie hatten sich gar zu sicher gefühlt da drinnen. Und darum lagen sie in Morpheus Armen und freuten sich über diese schöne Gelegenheit, einmal gründlich ausschlafen zu können.
Krach! gingen auch hier die Leinen.
Und nun ein Bild, wie es sonst nur ein Blitzschlag schaffen kann.
Angetan mit Nachtkleid, Mütze und Halbschuhen: so sehe ich noch heute einen der Kommandanten vor mir. Und noch oft hat er in seinem eigenartigen [40] Kriegsgewand den Stoff liefern müssen zu unserem Lachen.
Der Blick von meiner Brücke aus über den Hafen war unvergleichlich schön.
Bei dem plötzlichen Aufprall auf die Mole stiegen die grünen Wasserwände haushoch in die Höhe, um dann in einen weißen Gischt von tausend und aber tausend feinen Tropfen zu zerstieben.
Lange noch wird diese Nacht den Matrosenartilleristen im Gedächtnis bleiben, die ihren Posten auf der Mole hatten, bis endlich, endlich das Helgoländer Rettungsboot, das sich schon so oft bewährt hat, Befehl bekam, sie abzuholen.
Lange hätten sie dort wohl nicht mehr aushalten können. Brecher über Brecher fielen über die Mole her. Und heute noch schneidet es mir ins Herz, wenn ich an eine kleine Segelyacht denke, die sich von ihrem Anker losriß und an der Steinmole zerschellte.
Aber die Mole hielt. Die deutsche Technik hatte wieder einmal bewieden, daß sie auch Naturgewalten zu besiegen weiß.
Helgoland, du rotes Felseneiland, wer wüßte wohl deinen Wert jetzt im Kriege höher einzuschätzen als wir Torpedobootsfahrer. Wehe, wenn du noch britisch wärst! Nur gar zu klösterlich bist du geworden, seit bei Kriegsbeginn alles, was weiblich war, fortgeschafft wurde; und nun erst jetzt, wo das einzige weibliche Wesen, das dort geblieben und wie ein Ritterfräulein aus alter Zeit vom hohen Balkone sich das Treiben im Hafen anschaute, eine junge Löwen- [41] dame von Hagenbeck im Flugzeug nach Norderney entführt wurde.
Halt. Eine „Dame“ ist dir doch noch verblieben! Zwar nicht aus Fleisch und Blut, aber darum nicht minder begehrt. Die Dame auf dem Kinoprogramm! und wenn sie erscheint, ruft alles Hurra!
Wie seid ihr Glücklichen drüben auf dem Festland zu beneiden! Soll es doch bei euch — dort, wo die Sonne aufgeht — richtige Frauen geben! [42]

- - - - -

(5) „Amoretten“ heißen die hohen Seestiefel, und „Torpedobootspfeffer“ nennt man den Ruß aus den Schornsteinen. Da die Kombüse vorn ist, muß das Essen bei jedem Wetter über Deck getragen werden. Dabei fällt sehr leicht Ruß in die Schüsseln.

{Fortsetzung folgt}

Link to comment
Share on other sites

In Seenot

„Voraus ein Fahrzeug!“
Wie immer; so viel Augenpaare auf der Brücke, so viel Doppelgläser! Ein Fahrzeug mußte es ja sein; aber wie und was? Das ließ sich noch nicht ausmachen.
„Der fliegende Holländer in leibhaftiger Gestalt.“
Ein Bild des Jammers! Gewesen war es einst ein stattliches Segelschiff, jetzt ragten aus einem tief im Wasser liegenden Rumpf zwei Masten empor, die Raaen wirr durcheinander und daran traurige Reste ehemaliger Segel.
Es mußte plötzlich überrascht sein vom Unwetter. Fast alle Lieken — die dicken Taue, die ein Segel einrahmen — standen, aber das Segeltuch war herausgerissen. Einige zerfetzte Reste zeugten von vergangener Pracht.
Im Näherkommen erkannten wir am Fockmast die schwedische Flagge, aber sie war zu einem Knoten verschlungen, und das bedeutet: „Bin in Seenot, erbitte Hilfe“, wenn alle anderen Signalflaggen von der See fortgerissen sind. [43]
Jetzt steuerte es mit einem kleinen Reservesegel schnurstracks auf Land zu, um wenigstens die Besatzung des sinkenden Schiffes zu retten.
Ein Wunder, daß es verschont geblieben war von den unzähligen Minen auf seiner planlosen Fahrt! Ins Skagerrak hatte es wollen und war jetzt vor dem Wind nach Borkum verschlagen.
Zwei Seemeilen war es nur noch von Land, wir kamen gerade rechtzeitig, den Schiffer und seine „Anna“ aus Bantevik vor dem Äußersten zu bewahren. Einer meiner unteroffiziere, ein alter Seebär, der viele Jahre in nordischen Gewässern gefahren war, machte den Dolmetsch, und so erfuhren wir denn das ganze Elend.
Nicht nur die Segel hatte die „Anna“ verloren, sondern sie war auch noch leck geschlagen. Unter dauerndem Pumpen hielt die Besatzung sie noch schwimmfähig. Aber wie lange wird’s dauern, dann sprengt die aufquillende Kleieladung den Schiffsrumpf auseinander, dann bleibt der Besatzung nur noch die kleine Nußschale, die jetzt last- und sorgenfrei hinterdrein hüpft.
Winkspruch vom Führerboot: „In der Nähe des Seglers bleiben; ich hole Schlepper.“
Antwort von uns: „Darf ich ihn in Schlepp nehmen?“
„Ja, wenn Sie können.“
Dieser Zweifel an meinem seemännischen Können weckte denn doch meinen ganzen Ehrgeiz.
Es war freilich eine ungemütliche Sache, mit ge- [44] stoppter Maschine eine Zeitlang still liegen zu müssen, denn ein besseres Ziel konnte man feindlichen U-Booten nicht bieten.
Aber dennoch! Warten hieße den Schweden verloren geben. Schnell trieb er vor Wind und See dem Strande zu.
„Klar zum Schleppen!“
Der Befehl wurde dem Segler übermittelt. Hei, was für ein Leben da hinein kam in die erschlafften Glieder der Besatzung! Alles schon aufgegeben, im Herzen schon den Abschied von der alten braven „Anna“ genommen — und nun sollte es doch noch Hilfe geben!?
Besser ist in meiner langen Torpedobootszeit kein Schleppmanöver geglückt. Die Schweden arbeiteten aber auch fieberhaft.
Es war die höchste Zeit, das Wasser wurde schon flacher, weil wir uns dem Land immer mehr näherten.
Langsam dampfte ich voraus; jetzt kam der kritische Augenblick, ob die Leine beim Steifkommen halten oder brechen wird. Und es war ein schweres, ungelenkes Fahrzeug dort hinter mir!
Die Leine hält!
Mit langsamer Fahrt schleppe ich die „Anna„ nach See zu.
Es steht eine kräftige Dünung. Wird die Leine auch weiterhin halten?
Da kommt in der Ferne ein Schleppdampfer, auch eine „Anna“, aber eine deutsche.
Wenn die Schleppleine jetzt bricht, schadet es nicht. [45] Wir sind wieder so weit vom Strand, daß für das Inschleppnehmen Zeit genug ist.
Da können wir wohl etwas höhere Fahrt laufen.
Krach! Nach einer Viertelstunde, bei einer besonders hohen See, von der die „Anna“ zurückgerissen wird, bricht die Leine. Die Freude war also kurz, aber diese Spanne Zeit hatte genügt: Das Leben der schwedischen „Anna“ und vielleicht auch seiner Besatzung war gerettet. Ob die Leute mit ihrer Nußschale bei der hohen Brandung festen Boden erreicht hätten, erscheint doch sehr zweifelhaft.
Auf dem Schweden allgemeines Achselzucken und mit dem Augenblick des Krachens wieder die alte Ergebenheit in das scheinbar unvermeidliche Schicksal: Uns ist eben nicht zu helfen.
Ich dampfe längsseit und lasse dem Kapitän übermitteln, daß ein Schlepper bereits in Sicht sei und bei ihm bleiben würde, um die Besatzung überzunehmen, falls das Schiff nicht mehr eingeschleppt werden könnte.
Zu seiner Beruhigung blieb ich selbst noch dort, bis die beiden Annen einander in Schlepp hatten. Dann eilte ich meiner Flottille wieder nach.
Einige Tage später stand im Tagesbefehl der Flotte eine Anerkennung für den Kommandanten der deutschen „Anna“. Er hatte seine Namensschwester nach Bremerhaven glücklich eingeschleppt. [46]

Whitby-Hartlepool

Ahnungslos lagen wir auf Reede zu Anker und spielten in ewiger Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, unsern Viermännerskat. Da tut sich die Tür auf, und herein tritt ein Matrose mit einem Brief. An sich nichts Wesentliches.
Aber auf dem Umschlag stand:
„Oeffnen 2 Stunden nach Auslaufen.“
Das klang sehr geheimnisvoll und erfreulich.
Es lag etwas in der Luft.
„Na, meine Herren, ich glaube, da nehmen wir „ein Auge voll“ auf Vorrat. Wer weiß, wann wir Anker lichten und wie lange die Freude dauert.“
Schlafen kann der Torpedobootsfahrer immer, in allen Lebenslagen, stehend, sitzend und „aufgeschossen“(6) in irgend einer Ecke, weil er dauernd übermüdet ist.
An Entkleiden war natürlich nicht zu denken, [47] konnte doch jeden Augenblick das Signal zum Ankerlichten kommen.
Pechschwarz war die Nacht.
Erst gehe ich noch einmal an Deck und betrachte mir unsere Lage zum Führerboot. Bei Nacht sind alle Katzen grau, da lassen sich die kleinen, an sich schon nur für den Torpedobootsmann verständlichen Abzeichen nicht erkennen. Und beim Ankeraufgehen das Führerboot sofort finden, ist außerordentlich schwer. Dann ziehe ich mich in meine Kajüte auf das harte Sofa zurück.
Bum! Bum! klopft’s an die Tür.
„Was ist los?“
„Herr Kapitänleutnant, Anker lichten!“
Oelrock an, Mütze auf, Handschuhe in die Hand, dann hinauf.
Wie die Kücken um die Glucke, so versammeln sich die Boote um ihr Führerboot und versuchen, auf möglichst kurzem Wege die richtige Position zu bekommen, Gar zu leicht kollidiert man aber mit anderen Booten.
Wohin nun? Die Halbflottille hängt sich an einen Kreuzer an.
Aha, diesmal gibt es etwas Besonderes. Wenn nur die nächsten zwei Stunden erst herum wären und man den geheimnisvollen Brief öffnen könnte!
Endlich, endlich!
Der Navigationszirkel fliegt hinein in den Umschlag und reißt ihn auf.
Da steht’s: Gegen England!
Und wir ganz vorne weg! [48]
Nach Hartlepool, über den Meridian von Greenwich, den überschreiten zu wollen allein schon eine Unverschämtheit genannt werden mußte!
„Kerls, wir sollen die Engländer aus den Federn jagen!“
Im Nu war es herum in allen Räumen, die Matrosen grienten und streiften sich schon die Ärmel hoch, als ob es zum Ringkampf ginge, die Heizer spuckten kräftig in die Hände, um ihre Feuer auch anständig rein zu halten. Jetzt galt es, rauch- und funkenlos zu fahren!
Das Wetter meinte es gut mit uns.
Spiegelglatt die sonst so winterlich rauhe Nordsee! Da ließ sich die Seefahrt schon aushalten, wenn man auf seinem Laternenkasten sitzen und mit den Beinen baumeln konnte, und wenn die Setzeier nicht aus der Pfanne hüpften!
Sogar warmes Mittagessen gab es! Und hinterher „Negerbouillon“ mit Milch von der Seekuh.(7) Freilich nur Mannschaftskost, wie ich sie seit acht Jahren mit meinen Leuten teile. Es ist natürlich undenkbar, daß bei den kleinen Raumverhältnissen für die Offiziere besonders gekocht wird, kann doch in der Anrichte nur ein Mann stehen, und auch der muß beim Abwaschen die Schüsseln noch zwischen die Füße setzen.
Dennoch, gibt es bei solchem Wetter etwas Schöneres als die Seefahrt?! Und dazu Aussicht, endlich an den Feind zu kommen! [49]
Prächtig war’s, und dann folgte eine tiefschwarze Nacht, so eine richtige Torpedobootsnacht, wie wir schwarzen Gesellen sie uns nicht besser wünschen konnten.
„Herr Kapitänleutnant“, meint mein Hilfssteuermann, ein echter Mecklenburger, „weslich von Doggerbank is das Wetter man schlecht. Mir will die Luft gar nich gefallen. Die See fängt all an kraus zu werden.“
„Malen Sie nur nicht den Deubel an die Wand.“
Er sollte aber recht bekommen mit seiner Prophezeiung.
Um 4 Uhr früh war es schon recht unangenehm, und je näher wir der Küste kamen, desto übler wurde das Wetter. Ausgerechnet Nordwind, so daß die Küste uns keinen Schutz bot.
Um 8 Uhr früh standen wir ganz nahe unter den Felsen von Whitby.
Der Nervenkitzel war unbeschreiblich schön.
Mit einer Besatzung, die man drei Jahre auf dem gleichen Boot gehabt, mußte man ja im Gefecht der Ueberlegene sein! Nur das Wetter war eine regelrechte Gemeinheit. Denn deshalb konnten wir Torpedoboote uns am Schießen nicht beteiligen. Aber wir hatten doch die Herzensfreude, mit dabei zu sein.
Deutlich sahen wir das Aufleuchten der deutschen Salven. Grell grüßten die vom Geschützfeuer hell erleuchteten Häuser herüber, so nahe waren die Schiffe unter Land.
„Guten Morgen, Herr Grey! Bekommen Sie [50] nur keinen Wutanfall, wenn Ihnen unser Gruß beim Frühstück überbracht wird.“
„Britannia rules the waves!“
„Auf die Freude hin will ich zur Feier des Tages einmal unten frühstücken. Lassen Sie mir gleich melden, wenn was los ist.“
In Oelrock und Seestiefeln saß ich am Frühstückstisch, rechts neben mir in dem Sofakissen Butterdose und Wurstzippel, links der Brotkorb. Mein Bursche, dessen Hauptvorzug war, bei dem übelsten Wetter nicht seedoll zu werden, hielt Kaffeekanne und Tasse und übte sich in der Kniebeuge.
Genug, auf dem Tisch stand nichts; es wäre auch nicht lange darauf geblieben.
Kaum führe ich den ersten Bissen zum Munde, da kommt der Läufer mit der Meldung:
„Nr. 3 hat Mann über Bord.“
Auch das noch! 15 sm von Englands Küste, Windstärke 8.
Oben war ich! ’Rauf auf die Brücke über wirr durcheinanderliegende Kohlensäcke. Was tut’s da, wenn man noch etwas nasser wird und die Seestiefel von oben voll laufen!
Die Nr. 3, mein Vordermann, hatte den Verlust aber selbst gleich bemerkt und war sofort zurückgegangen.
Es war ein Unteroffizier, der, als er aus dem Heizraumniedergang herauskam, von der See gefaßt und über Bord gespüllt wurde.
Ein Glückskind, wie es kaum ein zweities gibt. [51]
Im Heizraum hatte er wenig Zeug angehabt und so konnte er sich trotz der hohen See schwimmend halten.
Das Boot ging an ihn heran, ganz nahe, und da — faßt ihn ein heranrollender Brecher und wirft ihn wieder an Deck. Starke Matrosenfäuste greifen zu und halten ihn, damit dieselbe See ihn nicht gleich wieder mitnimmt.
Und hoch oben im Mast weht das Signal: „Der Mann ist gerettet!“
Alter braver Rottenführer, das haben Sie gut gemacht!
Aber arg zurückgebracht hatte uns dieser Zwischenfall, hieß es doch jetzt, wo die Engländer durch die Beschießung von unserer Anwesenheit wußten, möglichst schnell heimkehren, um nicht von überlegenen Streitkräften, noch dazu am Tage, gefaßt zu werden.
Mit äußerster Kraft ging’s den Andern nach.
„Der leitende Maschinist soll auf die Brücke kommen.“
Mühsam arbeitete er sich herauf.
„Obermaschinist, wie ist’s mit unsern Kohlen?“
„Herr Kapitänleutnant lange dürfen wir nicht mehr äußerste Kraft fahren, ich habe nur noch wenige Tonnen in den Betriebsbunkern. Die ganze Deckslast ist über Bord gegangen, und trimmen aus den Reservebunkern kann man bei solchem Wetter nicht.“
„Wir haben die Flottille gleich, dann gehen wir mit der Fahrt auf 20 sm herunter. Wird’s dann reichen?“ [52]
„Jawohl, dann reicht’s.“
Kaum haben wir die vorderen Boote eingeholt, da schlägt neben der Halbflottille vor uns eine Salve ein.
Nanu?! Zu sehen war für uns dahinten gar nichts.
Die Boote vorn drehen nach Süden, wir folgen.
Verdammt: vorn stehen kleine englische Kreuzer und pfeffern munter in uns hinein.
Gerade hat der Fähnrich Wache.
Er strahlt. Nun bekommt er doch noch etwas vom Krieg zu sehen.
Der Gegner dreht auch nach Süden. Ihn anzugreifen, ist bei solchem Wetter ausgeschlossen. Die Torpedorohre sind nicht zu schwenken. Da kann man nur mit äußerster Kraft fortlaufen.
Der Engländer schießt schlecht. Weit liegen die Aufschläge auseinander. Bei rollendem Schiff kann auch der beste Schütze nichts treffen.
Plötzlich dreht der Gegner gegen die See, mit hoher Fahrt nach Norden.
Hoch hebt sich sein Vorschiff aus dem Wasser, wie er gegen die See andampft.
Der Grund seines Manövers ist uns unerklärlich geblieben. Aber was kümmert’s uns! Wir drehen zurück, auf heimatlichen Kurs.
Hart stampft das Boot ein, springt von See zu See. Tief vergräbt es bei der hohen Fahrt sein Vorschiff ins Wasser, um im nächsten Augenblick sich aufzubäumen und die Wassermassen über Brücke und Schornstein zu werfen. [53]
Fragend schaut mich der Fähnrich an.
Das geht ihm denn doch gegen den Strich, so auf das Bootsmaterial „loszuaasen.“
„Hilf nischt, Berger, aus diesem Hexenkessel müssen wir erst mal ’raus.“
Krach! Wieder ergießt sich eine grüne See über die Brücke. Klatschend zertrümmert sie die 1 cm dicken Fensterscheiben und gibt uns eine gehörige Ohrfeige. Wie bespickt mit Glassplittern sieht der Rudergänger aus. Auch mir sind ein paar in die Backe gefahren.
Schad’t nichts! Wir sind diesen Kummer gewohnt.
Sagte doch einer der Kommandanten meiner Halbflottille, als er nach solcher Fahrt früher einmal einen Kameraden vom Seebataillon mit einer Scherbe im Auge traf: „Der imponiert mit gar nicht, von solcher Sorte hat mein Rudergänger mindestens zwanzig im Gesicht.“
Verzweifelt kommt der leitende Maschinist auf die Brücke. „Bei dieser Fahrt recihen die Kohlen nicht bis nach Haus.“
„Steuermann, wie weit ist’s bis Zeebrügge?“
„Genau so weit wie nach Helgoland.“
„Stündlich Kohlenmeldung! Sobald das Wetter es erlaubt, trimmen aus den Reservebunkern!“
„Ich werde mal ausrechnen, wie weit wir kommen“, sagt der H. I.
Eine verflixte Lage.
Meldung aus der Funkenbude: „Starker feindlicher F. T.-Verkehr.“
Natürlich! Jetzt jagen sie mit allem, was Schrau- [54] ben hat, hinter uns her und wollen uns fassen. Diese Freude wollen wir ihnen aber nicht machen.
Der H. I. kommt wieder herauf. „Bis 8 Uhr heute aben können wir so weiter fahren, dann müssen wir auf halbe Fahrt gehen, um noch nach Helgoland zu kommen.“
„Wie ist’s mit einer Maschine?“
„Dann brauchen wir erst um 10 Uhr herunter zu gehen, können aber nur mit einer Maschine Umdrehungen für halbe Fahrt machen.“
„Danke sehr!“
8 Uhr.
„Funkenbude, hören Sie noch starken Verkehr vom Feind?“
„Jawohl“.
Also weiter fahren mit gleicher Geschwindigkeit. Nun bleibt mir nichts übrig, als mich um 10 Uhr von den andern Booten zu trennen und auf meinen Glückstern zu bauen.
„Backbordmaschine stopp! Steuerbordmaschine halbe Fahrt voraus! — In die Maschine sagen: Gut rauchlos fahren! Zwei Kessel Feuer aus!“
Schweren Herzens ließ ich meine Halbflottille davon fahren. Aber ich hatte ja immer noch Glück gehabt!
Niemals bin ich so rauchlos gefahren wie heute, niemals haben die Leute so scharf Ausguck gehalten.
Ist’s doch eine alte Erfahrung: Wer bei Nacht den Gegner zuerst sieht, ist der Überlegene. Und schießen konnte ich immer noch! [55]
Endlos schleichen die Stunden. Werde ich Helgoland erreichen? Oder muß ich auf hoher See ankern, jedem U-Boot wehrlos preisgegeben?
Düwel! Düwel! Wenn wir bloß nicht übermorgen in England Tennis spielen!
Da blitzt es vorn auf!
Das Feuer von Helgoland!
Gott sei Lob und Dank!
Um 2 Uhr nachts lag ich im Hafen. Genau achtundvierzig Stunden stand ich auf der Brücke, und die letzten vierzehn Stunden waren nicht „von Kakao“.
Drei Tonnen Kohlen hatte ich noch, ein Teelöffel voll für den großen Hunger meiner Kessel! Mühsam erreichte ich die nächste Anlegestelle. An die Kohlenmole konnte ich nicht mehr fahren.
Mit bleischweren Gliedern ging ich hinunter und ließ der wachhabenden Offizier mit Leinen zum Kohlenplatz hinüberholen.
Ich aber schlief — schlief — schlief — zweimal um die Uhr herum….
Am andern Tag war alles vergessen. Zurück blieb nur der Stolz, auf westlicher Länge gewesen zu sein. [56]
- - - - -

(6) „Aufschießen“ heißt, ein Tau kreisrund an Deck zusammenlegen, wird übertragen auf Menschen, die sich sitzend oder liegend zusammenkauern.
(7) Kaffee mit Büchsenmilch.

Link to comment
Share on other sites

Weihnachten

Weihnachten stand im Kalander, und daran war nichts zu ändern, wenn unsere Feststimmung bei dem Gedanken an unsere Lieben daheim auch gerade nicht überschäumend war.
In der Kommendantensitzung waren wir einstimmig dafür, das verräterische Rot des Kalenders schwarz überzupinseln. Doch der deutsche Michel saß uns zu tief im Blut, und wir wollten unsern Leuten eine kleine Freude machen.
Wir hatten Glück am 24. Dezember.
Die Flottille lag in einer Flußmündung zu Anker, ungestört von dem offiziellen und inoffiziellen Trubel an Land; wir waren ganz unter uns „im engsten Familienkreis“.
Erst um 4 Uhr sollte unser Vorpostendienst beginnen. So hatten wir also einige Stunden Ruhe bis dahin und durften damit rechnen, ein ungestörtes „Weihnachtsmittag“ feiern zu können.
„Wetten, daß die Engländer uns heute Nacht einen Besuch abstatten werden?“
Aber niemand fand sich dagegen. [57]
Um 12 Uhr mittags hielt ich also eine kurze, na, sagen wir mal seemännisch-kriegerische Weihnachtspredigt, und dann wurde Sonnenuntergang markiert.
Am hellichten Tage kann man doch unmöglich den Lichterbaum anzünden! Also „abblenden“, d. h. vor sämtliche Fenster die Metallblenden vorklappen. Nur sollten diese jetzt nicht verhüten, daß Licht nach außen fällt, wie des Nachts in See, sondern umgekehrt: die Sonne mußte sich, ob sie wollte oder nicht, dies Absperren gefallen lassen.
Einzeln ließ ich die Leute in die Kajüte kommen, um ihnen kleine Andenken an diese Kriegsweihnachten zu geben: Paketchen, die ich von Verwandten und Bekannten erhalten hatte. Scheelen Auges beneidete ich die Kreuzer neben uns, als ich so vor meinen kleinen Gaben stand. Sie alle hatten ihre Patenstädte und waren fast zu sehr verwöhnt worden, und wir, die wir unser Leben unter einer Nummer fristen, hatten nichts, gar nichts.
Aber doch hoffe ich, die beschiedenen Wünsche einigermaßen erfüllt zu haben.
Eines nur konnte ich meinen Leuten nicht ersetzen: die fehlende Post aus der Heimat, die größtenteils noch ausstand.
Dann wanderte ich mit meinen Offizieren durch die engen Mannschaftsräume, die alle ihren kleinen Christbaum hatten, wie ich ihn mir etwa bei den Liliputanern vorstelle.
„Na, was hat den Ihre Braut geschrieben?“
„Gar nichts, Herr Kapitänleutnant“. [58]
„Da würde ich sie kündigen“.
Dort besehen zwei sich die „Woche“, betrachten gerade sehr aufmerksam ein Bild.
„Wer ist denn das?“
„Hindenburg, Herr Kapitänleutnant“.
„Wie sieht er denn aus?“
Darauf der Zweite: „Bei dem möchte ich nicht zum Rapport stehen.“
Endlich versammeln wir vier Offiziere uns in der Messe, drei würdige Eheleute in den Dreißigern, dazu ein Fähnrich. Zur Feier des Tages durfte ich wohl mein einsames Kommandantendasein aufgeben und bei meinen Offizieren essen.
Etwas ganz Besonderes hat der Meßvorstand uns zugedacht: Gänsebraten. Etwas Unerhörtes für Torpedobootsverhältnisse, sowohl an Umfang wie Art.
Wie immer sitze ich auf dem schwarzen Roßhaarsofa, das sonst im Verein mit einem Vorhang Wohn-, Eß- und Schlafzimmer des Fähnrichs darstellt.
Im Niedergang werden zwei Beine sichtbar, im Abwärtssteigen folgen Bluse, Suppenschale und Kopf.
Heute geht es vornehm bei uns her! Die Suppe wird draußen aufgegeben und in Tellern angeboten.
„Mensch, verbrenne dir nicht den Daumen“.
Aber mein biederer Bursche läßt sich nicht aus der Fassung bringen. Treuherzig erwidert er: „So heiß ist sie nicht.“
Draußen knallt’s. Ausnahmsweise gibt’s heute „Schuum“. Eine Flasche — mehr wird nicht zugestanden; wir haben ja noch eine lange Nacht vor uns. [59] Aber auf unsere Angehörigen müssen wir doch anstoßen, und zwar in Ermangelung von Eis mit schön „warmem“ Schuum.
„Den Daumen drauf!“
Mit seinen treuen Kuhaugen guckt der Steward uns an, weiß nicht recht, war es Ernst oder Scherz.
Dann besieht er sich seinen schwarzen, richtig schwarzen Torpedobootsdaumen, und schon quillt der Schaumwein unter ihm hervor.
„Auf unsere Lieben daheim!“
„Na, Fähnrich Berger, auf wen haben Sie denn getrunken?“
„Ich habe wieder mal einen Haufen Glück gehabt, Herr Kapitänleutnant; an mich hat niemand geschrieben. Nun brauche ich wenigstens nicht zu antworten.“
Da kommt die Gans!
Sprachloses Umschauen, dann brüllendes Gelächter!
Eine halbe Gans! Quer durchgeschnitten! Die vordere Hälfte!
„Der Koch soll kommen!“
Ein Hamburger „Schlickschuwer“ seines Zeichens.
„Mensch, was haben Sie mit dem Adler gemacht?“
„Die Halbflottille hat im ganzen nur eine große Pfanne im Etat, und die hat Nr. 3 an Bord. Nun habe ich ihn in zwei Stücken braten müssen.“
„Bei Gott und der Kaiserlichen Marine ist eben nichts unmöglich“, pflegte mein alter Seekadettenunteroffizier zu sagen. [60]
Tatsache aber ist, daß wir Ehemänner uns allen Ernstes vornahmen, unsern Frauen zu sagen, es ebenso zu machen. Denn die halbe Gans schmeckt ungleich schöner als die ganze, weil sie nicht so fett bleibt.
„Wachboot, Befehle abholen“, platzt ein Signalgast in die Messe.
Richtig, wir sind ja heute auch noch Wachboot!
Unsere Ruhe ist dahin!
Weihnachtabend und Weihnachtstimmung sind vorbei.
„Bootsmaat der Wache, sorgen Sie dafür, daß sämtliche Tannenbäume sofort über Bord geworfen werden! Alles offene Licht löschen!“
Leb’ wohl, Christkindlein, mit deinen wehmütigen Heimatsgedanken! Deutscher Seemann, erwache wieder zu kriegerischem Tun!
„Anker lichten! Briefbeutel klar!“
Winkspruch vom Führerboot: „Befehle holen vom F. d. T.“ (Führer der Torpedobootsstreitkräfte)!
„Wenn das man klar geht“, sagt mein Wachoffizier halblaut vor sich hin.
Recht mag er schon haben. Er ist ein gestrenger Herr, der F. d. T. Und wenn er noch was vom Weihnachtsfest sieht, dann wird’s uns sicher übel ergehen.
Eben alles zu seiner Zeit. Mit dem Augenblick des Ankerlichtens muß wieder Alltag sein.
Und wehe, wenn die Mannschaft eines Bootes, [61] das bei seinem Flaggschiff längsseit kommt, einen unmilitärischen Eindruck macht!
Also vorbeugen.
„Bootsmaat der Wache, alles unter Deck! Nur das Wachpersonal bleibt oben!“
„In die Maschine sagen: alles bleibt unter Deck!“
Heute am Weihnachtstag soll von meinen Braven doch niemand „zu Vater Seemann“ wandern.
„Es ging klar“, obwohl der F. d. T. persönlich herauskam, als ich längsseit lag.
„Melden Sie Ihrem Flottillenchef, ich ließe der Flottille fröhliche Weihnachten wünschen!“
„Zu Befehl, Herr Kommodore! Danke gehorsamst!“
Das war jedenfalls der Beweis, daß mein Boot das Weihnachtsfest abgestreift hatte, es war nicht mehr dumm aufgefallen.
Nun wurden die Dienstbriefe, die ich für die verschiedenen Flottillen und Halbflottillen bekommen hatte, „ausgefahren“, d. h. man geht von hinten je nach Wind und Seegang 2 bis 15 m an das betreffende Boot heran und wirft dann einen Sandsack hinüber, der an einer langen Leine des Briefbeutels sitzt.
Der erste Wurf geht stets 1 m zu kurz — das ist noch nie anders gewesen —. Also nach dem zweiten Wurf wird der wasserdichte Gummibeutel mit seinem Inhalt hinübergeholt. Eine zweite Leine wird bei uns festgehalten, um ihn wieder zurückzuholen.
Nach einer Stunde sind wir glücklich fertig, gerade [62] rechtzeitig genug, um mit der Halbflottille auf Vorposten zu gehen.
Die Nacht verging, der erste Weihnachtstag brach an, etwas trübe zwar, aber strahlend wolkenlos. Die Engländer waren nicht erschienen.
Merkwürdig! Sollten wir uns so sehr geirrt haben?
„1. Halbflottille Kohlen ergänzen!“
Also längst festmachen an einem Kohlendampfer.
Und nun beginnt unser Weihnachtsgottesdienst, etwas heidnisch zwar, als ob es gilt, Mars hekatombenweise Kohlen zu opfern.
Jeder Mann muß heran, da hilft keine Entschuldigung. Im Dampfer heißt’s, die Kohlen in Körbe schaufeln, und zwar bei einem Staub im Laderaum, daß man seinen Nachbarn nicht sieht. Dann werden die Körbe mit Ladebäumen dem Boot an Deck geschüttet und die Kohle durch kreisrunde Löcher in die Bunker geschaufelt.
Vom Europäer behält man da nicht viel an sich. Die farbigen Hilfsvölker unserer Gegner entschieden zivilisierter aus als wir, wenn wir kohlen.
Vielleicht mögen sie doch recht haben mit ihrer „Kultur“.
„Was ist das?“
Am heiligen Weihnachtstag, zur Kirchzeit, wird geschossen?
Wieder eine Salve!
Hier, soweit flußaufwärts? [63]
„Dort fliegt er!“
Ein feindlicher Flieger auf der Jade!
Ob er Zweifel an der Existenz unserer Flotte gehegt hatte?
Was ihn zu uns trieb, konnte uns ja gleich sein.
Jedenfalls bot er uns mit seiner erstaunlichen Frechheit ein herrliches Schauspiel.
Ein windstiller, wolkenloser Wintertag. Hoch oben der Flieger und rings um ihn her die kleinen, Tod un Verderben bringenden Schrappnellwölkchen.
„Und flog davon!“
„Kennen Sie die Geschichte vom fliegenden Adam? Nein? Also hören Sie! — Gottesdienst an Bord. Ein Offizier liest aus Bibel und Predigtbuch vor. Im Lesen langt er unten auf der Seite an, hat schon mit der rechten Hand das Blatt gefaßt, um es umzulegen. „Adam setzt sich auf einen Stein und… flog davon.“

Zurückblättern. Kopfschütteln. Jedenfalls zwei Blätter gefaßt! Also noch einmal: „Adam setzte sich auf einen Stein und...“ — verzweifeltes Reiben des Blattes, um die zusammenhaftenden Blätter zu trennen — „flog davon.“
Verstärktes Kopfschütteln. Zurückblättern.
„Adam setzte sich auf einen Stein und…“ — verstärktes Reiben ohne Erfolg — „und er flog doch davon.“
Unser Weihnachten in diesem Jahr war beendet. [64]

Minen ringsum!

„Herr Kapitänleutnant, eben müssen wir an Backbord eine treibende Mine passiert haben.“
Mit diesen Worten kam der H. I., der auf meinem Boot eingeschifft war, auf die Brücke.
„Hart Backbord!“
Richtig, dort schwamm eine dieser freundlichen Seeminen mit dem so harmlos ausschauenden Stab oben drauf!
Also eine englische Mine!
Dort noch eine, dort ebenfalls!
Mitten drin lagen wir unter treibenden, hoffentlich treibenden Minen, zwölf an der Zahl.
Hoffentlich treibende Minen! Nach den internationalen Bestimmungen aus der Zeit vor dem Kriege soll eine Mine, sobald das Ankertau bricht, sich selbsttätig entschärfen. Es ist zwar vieles, fast alles von unsern Gagnern umgestoßen, was an derartigen Abmachungen geschrieben stand. Aber es war doch ein leises Beruhigungsmittel, ein frommer Selbsbetrug, zu wissen, daß es treibende Minen waren. [65]
Also zunächst mit zwei Booten, die durch eine lange Leine miteinander verbunden waren, feststellen, ob das Ankertau noch vorhanden. Die Leine wanderte unter der Mine hindurch, ohne daß diese sich rührte. Also treibend! Gottlob!
Etwas unheimlich war uns aber doch zu Sinn, zumal die Halbflottille weiter mußte und ich allein zurückblieb.
Meldung: „Schieße zahlriche treibende Minen ab, bitte ein Boot hierbleiben!“
„Vordere Geschützbedienung und Maschinengewehre an die Geschütze!“
Dann auf 50 Meter heran an die erste Mine.
„Wirst du selbst hochfliegen?“
Wir haben ja immer noch Glück gehabt! Warum diesmal nicht?
Die Mine querab, das Boot die Nase in den Wind, damit die Sprengstücke einem nicht an Deck fliegen und einige Leute gefährden. Außerdem liegt dann das Schiff ruhiger. Bei schlingerndem Boot ein so kleines, selbst tanzendes Ziel mit dem Geschütz treffen, ist gar zu sehr Glückssache.
Ein paar Schuß. Dann wird die Mine von Sprengstücken durchlöchert und sinkt.
Bei der zweiten Mine wenige Schuß, da bekommt sie einen Volltreffer, steigt als ungeheure schwarze Rauchsäule etwa 150 m hoch in die Luft und legt uns zum Andenken zwei handgroße Bruchstücke ihres Gefäßes an Deck. Also weiter abbleiben!
Schließlich schienen mir denn doch die Granaten [66] etwas kostspielig. Ich ließ also hinfort nur mit Maschinengewehren feuern. Es waren dadurch freilich mehr Schuß nötig, aber sie kosteten bei erreichtem Erfolg doch nicht so viel.
Deutlich sah man mit dem Doppelglass die Aufschläge. Solbald die Geschosse jedoch im Winkel zur Oberfläche des Minengefäßes aufschlugen, hinterließen sie nur eine blanke Aufschlagstelle. Und das war bei den kugelrunden Minen naturgemäß das häufigere.
Aber bei senkrechtem Aufschlag schlugen sie durch, und dann lief jedes Mal, wenn die See hinaufleckte, etwas Wasser hinein, bis die Mine langsam sank.
Dennoch detonierte noch eine Mine. Das kleine Maschinengewehrgeschoß mußte wohl gerade den Zündsatz getroffen und diesen durch Aufschlag zur Entzündung gebracht haben.
Oft habe ich Minen abgeschossen. Später in der Ostsee. Hochgegangen ist mir aber nur noch eine, ebenfalls durch Maschinengewehrfeuer, eine russische Mine. Eine der Bleikappen wurde durchschlagen. Die Mine hatte sich mithin beim Losreißen vom Anker nicht entschärft, oder — sie war absichtlich scharf den Meeresströmungen in unsern Gewässern überliefert, damit ein Schiff sie nachts berühre und sich den Todesstoß hole.
Diese wenigstens hatte ihren Zweck verfehlt. [67]

Gerammt

Spiegelglatt lag die Nordsee. Ein prächtiger Aprilabend, wie dieser launische Frühlingsmonat ihn so gern zeitigt, um dann plötzlich einen Wetterumschlag zu bringen.
Wasser lag schon in der Luft. Der Seemann „riecht den Nebel“.
Kaum ist es dunkel geworden, da kommt der F. T.-Gast mit vielverheißendem Zettel aus der Funkenbude.
Also Schluß mit unserm Viermännerskat, der uns den Abend zu Anker hatte vertreiben sollen.
„Sofort auslaufen! Näheres folgt!“
Da heißt es, schnell Anker lichten. Nichts ist unangenehmer, als wenn das Führerboot, mit dem Chef an Bord, früher seeklar ist und dann ohne alle Lichter davonfährt. Unter dem Ameisenschwarm von gleichzeitig auslaufenden Booten bei Nacht den richtigen Führer zu finden, ist recht schwierig und oft erfolglos.
„Vordere Decke räumen!“ Ein notwendiger Befehl, damit bei Kollisionen, die dort vorkommen können, kein Personal gefährdet wird. [68]
Nachdem wir fünf der 1. Halbflottille beisammen waren, gingen wir mit hoher Fahrt hinaus. Der Wachoffizier fuhr, der Kommandant konnte also zunächst, da eine Begegnung mit dem Feind noch ausgeschlossen war, sich etwas schonen und den Abend genießen — lang genug würde die Nacht ohnedem schon werden.
Gegen 11 Uhr saßen wir plötzlich in einer Nebelwand, die wie abgeschnitten auf dem Wasser lag.
Gut dran bleiben!
Nur den Vordermann nicht verlieren!
Die Halbflottille schiebt sich zusammen wie ein Keil. Nur 10 m Raum mögen zwischen Heck des Vordermannes und Bug des Hintermannes sein, oft, sehr oft noch weniger. Nur nicht mehr — dann ist er weg — und ein Wiederfinden ausgeschlossen.
Vom Hintermann ist nichts zu sehen; der Nebel im Verein mit der pechschwarzen Nacht lassen den Blick nicht von der Brücke bis zu ihm dringen, obwohl es nur 50 bis 60 m sind.
Totenstille an Deck und auf der Brücke, damit nur ja kein Ruf, kein Signal des Führers überhört wird. Vorn auf der Back steht ein Unteroffizier mit einem großen Sprachrohr, um den mündlichen Verkehr mit dem Vordermann aufrecht zu erhalten.
Um 11 Uhr entschließt sich der Chef kehrt zu machen, ist doch ein Ausführen des erteilten Befehls bei solchem Nebelwetter ausgeschlossen.
Vorsichtig heißt’s umkehren! Nur wenig Ruder, [69] damit die hinteren Boote nicht in die vorderen hineinfahren.
Hinten ist man froh, wenn die Absicht rechtzeitig erkannt ist und man sein Boot im Verband halten kann.
Kaum haben wir etwa acht Strich (gleich 90 Grad) gedreht, da erscheint ein dunkler Schatten an Backbord vor dem Bug.
„Beide Maschinen äußerste Kraft zurück!“
Unmittelbar, nach dem Bruchteil einer Sekunde erfolgt das Kommando.
Fast tut es mir leid, es gegeben zu haben. Eigentlich kann es ja nur ein feindlicher Zerstörer sein! Von uns alten Kommandanten wird doch nicht einer seinen Verband verloren haben und nun bei unserer Wendung in uns hineinfahren? Oder doch? — Jetzt kommen die Umrisse heraus und wirklich, es ist unsere Nr. 4!
Mit hoher Fahrt versucht er, sich vorbei zu schieben, sowie er die Gefahr für sich erkennt. Nur nicht gerammt werden! Das gibt ein gehöriges Loch und kann die Schwimmfähigkeit gefährden! Der Rammende dagegen verbiegt sich wohl arg den Vorsteven, kann sich aber kaum eine Todeswunde holen.
Vergebens.
In der Höhe des Mastes fasse ich ihn mit mächtigem Krach. Fast rechtwinklig fahre ich in ihn hinein.
Meine „Schnauze“ ist gewaltig krumm, fünf Meter nach der Seite aufgerollt. Das Boot neigt sich, bis die vielen kleinen Räume vorn vollgelaufen sind. [70]
Eine Sekunde, und die Nr. 4 sitzt meinem Nebenmann vor dem Bug.
Wieder ein Krachen!
Dann wieder Totenstille ringsum.
Von den vier andern Booten nichts zu sehen und zu höhren.
Aus den Trümmern meines Vorschiffes ertönt leises Wimmern.
„Herr Kapitänleutnant, zwei Mann sitzen vorn eingeklemmt, einer im Heizerdeck, der andere im Matrosendeck.“
„Mit Brecheisen losbrechen, bevor der Raum voll läuft!“
Und sehnige Matrosenarme, hilfreiche Kameradenhände bringen in der Tat beide Leute heraus.
Und was fehlt ihnen?
Kräftige Hautabschürfungen! Weiter nichts; trotz all’ der tausend Splitter und Trümmer vorn in den Räumen. Ein Denkzettel für ihre Fahrlässigkeit.
Aber all’ die Jahre hindurch war es gut gegangen, weshalb soll uns gerade heute etwas zustoßen? Weshalb denn die warme weiche Koje vorn unberührt lassen und sich statt dessen in einer ungemütilichen Eche aufschießen? Zumal es so scheußlich naßkalt war um 10 Uhr bei der Ablösung!
Ein kräftiger Anschnauzer obendrein war ein freilich unerwarteter, aber heilsamer Balsam für ihre Wunden.
Mein Boot hatte seine neue Schwimmlage gefunden. Eine unmittelbare Gefahr bestand nicht. Aber [71] die Nr. 4, die gerammt war! Armer Kerl! Auf so kümmerliche Art draufzugehen! Jedoch zum Denken war nicht viel Zeit. Ich hatte ausgiebig zu tun. Um den Druck des Fahrtstroms nicht auf die beschädigten Wände vorn wirken zu lassen, versuchte ich über den Achtersteven zu fahren.
Vergebene Liebesmüh!
Die verbogene „Schnauze“ wirkte so stark als Ruder, daß die Wirkung des nunmehr in der Fahrtrichtung vorn sitzenden richtigen Ruders weit übertroffen wurde.
Es half nichts, ich mußte doch über den Vorsteven fahren und mit der stolzen Geschwindigkeit von 5 sm. der Heimat zusteuern.
Erfreuliche Aussicht für den Tag! Bequemer konnte man es feindlichen U-Booten ja nicht machen, falls es aufklarte. –
Da — Nebelsignale!
„Das Führerboot macht Positionssignal!“
Alle antworten in der vorgeschriebenen Reihenfolge zum Zeichen, daß sie noch in Hörweite sind.
Die Nr. 4 schweigt.
Wem stände da nicht das Herz still?
Meldung aus der Funkenbude: „Nr. 4 wird angerufen. Antwortet aber nicht.“
Dort blinkt ein Scheinwerfer matt durch den Nebel.
Es ist das Führerboot, das unsere Bootsnummer wissen will. [72]
„Brauchen Sie Hilfe?“
„Nein.“
Funkspruch: „Die beiden unbeschädigten Boote umkehren!“
Immerhin, ich war unendlich froh, wenigstens so weit zu sein.
Und die Nr. 4?
In solcher Nacht lautlos sinken! Da gibt’s kaum ein Finden der Schwimmer.
Je glatter unsere Fahrt, desto mehr wanderten die Gedanken zum andern.
Zwei Uhr früh. Meldung aus der Funkenbude: „Stehe dort und dort, laufe 9 sm. Nr. 4.“
„Ist ein Verhören ausgeschlossen?“
Ausgeschlossen! Das Führerboot hat sich den Funkspruch wiederholen lassen.
Gottlob! Ein Stein fiel uns vom Herzen.
Nun waren ja alle Beschädigungen gleich!
Gegen Morgen klarte es auf. Nacheinander kamen die andern Boote in Sicht. Und besorgt wie eine Glucke um ihre Entenkücken umkreisten uns die beiden Gesunden.
Am Nachmittag liefen wir glücklich ein, paradierend bei manchem dicken Schiff, dessen Besatzungen neugierig unsere Wunden betrachteten und kritisierten.
„Sind Leute tot?“
„Nein, bei Ihnen?“
„Nein!“ [73]
„Beim dritten?“
„Auch nicht!“
Dann ist ja alles in bester Ordnung! Im Gefecht mögen sie fallen, das ist unausbleiblich. Aber nur nicht bei so dummen Unfällen.
Die Löcher wird die Werft schon wieder flicken und die Schnauzen ausbügeln!
Es waren allerdings gehörige Falten.
Mein Nebenmann konnte mit mir bezüglich der Beschädigung des Vorstevens wetteifern.
Die Nr. 4 sah doll aus, einfach doll.
Ich war ihr hinten hineingefahren, hatte zum Glück die Außenhaut nicht durchstoßen, aber eine Beule vom Mast bis hinten hineingedrückt. Alle Achtung vor deutschem Material und deutscher Arbeit.
Alles, was innen an der Bordwand gestanden, war 1 m ins Boot hineinmarschiert. Alle äußeren „Verzierungen“ mitsamt dem Mast waren weg. Statt dessen hatte ich ihm meinen Anker aufs Achterdeck gelegt, mit dem meine Nr. 1 (ältester seemännischer Unteroffizier) freudiges Wiedersehen feierte.
Mein Nebenmann war ihm unter der Brücke hineingefahren. Der vordere Kesselraum war vollgelaufen, die Brücke hing traurig herunter und hatte alle Signalmittel mitgenommen.
Und das war der Grund seines späteren Schweigens. Weiter fehlte ihm nichts. Sirene und Scheinwerfer waren beschädigt, die Antenne der Funkentelegraphie mit dem Mast heruntergekommen. [74]
Nach mühevoller Arbeit war endlich eine Reserveantenne ausgebracht, und daraufhin konnte die erfreuliche Meldung erfolgen.
Herzlich schüttelten wir drei Unglücksraben uns die Hände. Nur keine Grillen fangen und keine nachträglichen Betrachtungen anstellen. Die unvermeidliche Schreiberei würde uns schon bald genug die gute Laune verderben…. [75]

Marineflieger

„2. Flottille das Seegebiet westlich Helgoland nach den Flugzeugen Nr. 263 und 264 absuchen!“
Die armen Kerle! Bisher hatten sie solch’ unerhörtes Glück bei ihren tollkühnen Fahrten, unsere Flieger in der deutschen Bucht.
Aber heute! Der Wind frischt immer mehr auf.
Eine gedrückte Stimmung herrscht auf Helgoland, we immer und überall, wenn die ersten Verluste kommen. Nachher gewöhnt man sich auch daran, wie an alles.
Gegen Morgen kerht die Suchflottille unverrichteter Sache zurück. Nur zu erklärlich bei der immer gröber werdenden See.
Und um alle Zweifel zu beheben, hat ein Boot einen Schwimmer aufgefischt. Die Nummer stimmt. Die Flugzeuge sind mithin zertrümmert, die vier Flieger haben den Seemannstod gefunden.
Dennoch: „7. Flottille auslaufen, Mittags zurückkehren!“
Aber auch sie kehrt ohne Erfolg heim, wie es nicht anders zu erwarten war. [76]
Allein es muß alles versucht werden. Die Flieger sollen und dürfen das Vertrauen zur Leitung nicht verlieren.
Mittags: „1. Flottille auslaufen!“
Die See hatte etwas nachgelassen, war jedoch noch so grob, daß alle Augenblicke ein naseweiser Spritzer auf die Brücke hinaufhüpfte und uns die Doppelgläser unbrauchbar machte.
Immer wieder mußte der Lederlappen hervorgeholt werden, um die Objektive abzuwischen.
Stunde auf Stunde verrint.
Da meldet der wachhabende Offizier: „Backbord 2 Strich treibt ein Flugzeug.“
„Beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“
„Signalgast, Flugzeug mit Scheinwerfer anrufen, damit sie merken, daß wir sie sehen.“
Ob mein Nebenmann es auch wohl gesehen hat und uns die Freude nehmen will, die Ersten zu sein? Es wäre zu erwarten, denn er hat das Flugzeug recht voraus.
Richtig! Auch er geht auf höchste Fahrt. Da muß ich ihm den Vorrang schon lassen; er hat den näheren Weg.
Da — das Flugzeug schießt Signalsterne! Sie haben uns gesehen.
Wie mag ihnen drüben wohl zumute sein?
Wir kommen näher. Jeder sieht durchs Doppelglas. Keiner traut seinen Augen.
„Wie viel Menschen zählen Sie?“
Zögernd kommt die Antwort: „Vier“. [77]
Ja, ich kann mir nicht helfen, ich sehe auch vier.
Herrgott, dann haben wir sie ja alle!
Nach 36 Stunden! Auf einem Flugzeug alle vier, wie habt ihr das nur gemacht?
Fähnrich Stinsky, Sie werden nicht böse sein, wenn ich Ihren Namen nenne.
Er hatte gesehen, wie das andere Flugzeug aufs Wasser hinunterging, in der groben See zerschellte und wie die beiden Insassen mit den Wellen kämpften.
Kurz entschlossen geht auch er hinunter und nimmt mit vielen Mühen die beiden Schwimmer auf.
Aber, o weh! Die Last ist zu schwer. Ihr ist der Motor nicht gewachsen.
Auf dem Wasser nach Hause fahren! Ja, wenn das ginge! Aber die See rollt von West, und vor der See würde das Flugzeug unweigerlich kentern.
Ach wo, die Flottillen werden uns schon suchen, nur hübsch sparsam mit den Signalpatronen umgehen! In den nächsten sechs Stunden hat’s keinen Zweck, welche zu verfeuern, da kann doch noch niemand in der Nähe sein.
Also Stinsky behält das Steuer, die anderen drei zwängen sich zusammen in den Beobachtersitz, um sich bei den durchnäßten Kleidern gegenseitig zu erwärmen.
Der Tag vergeht.
Die Nacht kommt, unheimlich dunkel. Und die weißen Köpfe auf der See werden immer zahlreicher, die Berge immer höher. [78]
Mit übermenschlicher Anspannung hält Stinsky das Flugzeug gegen die See, läßt er immer wieder den Motor anspringen, wenn das Flugzeug sich quer stellen will.
Ist’s wahr? Der Brennstoff geht zur Neige?
Was nun?
Schnell werden ein paar entbehrliche Gegenstände zusammengebunden und als Treibanker an einer Leine über Bord geworfen. Nun treibt das hoch auf dem Wasser liegende Flugzeug schneller als der Treibanker, und dadurch hält es sich gegen die See.
Ruck! Der Treibanker ist gebrochen! Mit Mühe wird das Flugzeug mit dem letzten Rest an Brennstoff wieder gegen die See gebracht.
In aller Eile wird ein neuer Treibanker verfertigt aus Pistolen, Munition und was sonst noch vorhanden. Nur eine Pistole behalten sie zurück mit vier Patronen.
Die letzten Brocken des spärlichen Vorrats — sie waren ja nur auf zwei Stunden hinaus geflogen — wurde redlich verteilt.
Vierundzwanzig Stunden schon treiben sie — es kommt niemand.
„Sicher haben sie unsere Schwimmer gefunden und stecken deshalb das Suchen auf“, äußerte einer der Aufgenommenen.
Der Tag verstreicht. Einer wird ohnmächtig vor Ueberanstrengung und Hunger. Ein Schwimmer wird leck, so daß stets einer das Gleichgewicht auf dem heilen Schwimmer halten muß. [79]
Vier Uhr nachmittags. „Sterne schießen!“
Wie wurde er da wieder munter, der eben noch wie leblos im Sitz lag!
„Ein U-Boot! Das fehlt gerade noch! Jetzt in englische Gefangenschaft!“
Das Schiff wird großer, daneben noch eins, dann noch eins! Hurra, eine deutsche Flottille!
Beim Einsetzen des Flugzeugs brach der leck geschlagene Schwimmer. Er hatte ausgedient. [80]

Link to comment
Share on other sites

Die Ems

„1. Halbflottille aushilfsweise Sicherung übernehmen!“
Sehr erfreulich!
Genau vier Wochen hatten wir auf der Ems zugebracht und sie mit ihren vielen Ueberraschungen gründlich kennengelernt. Drei Tage war ich in dieser ganzen Zeit im Hafen gewesen. Aber der Matrose sagt ja auch:
„Was brauch ich denn an Land zu gehn,
Ich kann dem Land von Bord aus sehn.“
Und schwarz auf weiß hatten wir es ja auch: Drei Tage in See, zwei im Hafen.
Aber Mars wie Neptun scheinen nicht lesen zu können; oder es war versäumt worden, ihnen eine Abschrift zukommen zu lassen.
Genug, es kam, wie immer in der Marine, wieder einmal anders.
Gerade hatten wir festgemacht im Außenhafen von Emden, als der Befehl zum Auslaufen kam.
Was half’s? Hinaus mußten wir! Wer hätte geahnt, daß es die letzte Fahrt sein würde für mein braves Boot! [81]
Es war ein prächtiger Sommertag. Spiegelglatt die See; heiß brannte die Sonne auf das geteerte Deck und trieb alles, was dienstfrei war, hinauf.
Zudem war es gerade der Geburtstag des Kriegsbeginn, „unseres“ Kriegsbeginns.
Genau vor einem Jahr gingen wir in See, um uns die Flagge des Präsidenten der französischen Republik anzusehen. Da gab es manche Rede und Gegenrede. Erinnerungen wurden aufgefrischt und auch wohl den Neulingen hier und da manches aufgebunden, nach guter alter Seemannsart.
Ueber uns kreuzte ein Luftschiff, das fröhliche Winksprüche mit uns austauschte.
Signal vom Führerboot: „Auflösen! V 188 nördliches Flügelboot.“
Beim Niedergehen des Signals trennten wir uns vom Führerboot, und mit hoher Fahrt ging’s allein nach Nordwest.
Kurz bevor ich auf Position war, kam ein holländischer Fischdampfer in Sicht, den ich zur Untersuchung ansteuerte.
Herrmanns, der als Hapag-Offizier besonders geeignet schien zur Prüfung der Papiere, wurde mit dem Dingi hinübergeschickt, während wir unsere Kreise schlugen.
Unterdessen hatte der Wettergott sein freundliches Gesicht arg verzogen und uns einen gehörigen Gewitterguß geschickt.
„De Een sin Uhl is de Anner sin Nachtigall!“ So standen wir Offiziere auf der Kommandobrücke und [82] freuten uns, wie Herrmanns durchnäßt mit süßsaurer Miene zurückkam. Und so brauchte er denn auch nicht für den Spott zu sorgen.
Auf dem Dampfer war alles in Ordnung befunden.
Also auf Position!
Die Offiziere gingen zum Mittagessen in die Messe und ließen mich, wie stets in See, auf der Brücke zurück. Für den Kommandanten gibt es keine Ablösung.
Sieben Minuten im Krähennest am vorderen Mast der Ruf:
„U-Boot an Steuerbord!“
„Hart Steuerbord!“ Beide Maschinen äußerste Kraft voraus! Ihn überrennen!“
Im Augenblick springe ich hinüber nach der Steuerbordseite der Brücke, sehe da auch schon den Wasserberg des Torpedoschusses neben dem Sehrohr, etwa 100 m von uns ab.
Schnurgerade kommt die Blasenbahn des Torpedos auf uns zu.
Der trifft! Da gibt es kein Entrinnen. Nach fünf Sekunden wird er uns haben. Nur zu oft hatten wir bei Friedensübungen das gleiche Bild gesehen und uns gefreut über den schönen Schuß.
Selbst springe ich an die Alarmglocke, die in sämtlichen Räumen des Bootes ertönt und die Leute an die Geschütze rufen soll.
Auf der Brücke beobachtet alles fast friedensmäßig [83] die Blasenbahn, mehr neugierig als besorgt, ob er wohl treffen wird.
Er muß ja unter uns hindurchgehen. Es wäre doch ein geradezu unglaubliches Glück für das U-Boot, wenn der Torpedo bei so geringer Schußentfernung in die richtige Höhe steuern würde, um unser flachgehendes Boot zu treffen.
Die ersten Blasen erreichen die Bordwand.
Schon will ich aufatmen, in dem Glauben, der Torpedo lief zu tief, weil er noch nicht detoniert.
Da erfolgt ein scharfer Schlag. Das ganze Boot erzittert. Eine über 100 Meter hohe schwarze Rauchsäule steigt neben der Offiziermesse auf und reißt den Mast mit sich.
Ungezählte Trümmer und Splitter werden über das Boot geschleudert. Ein Stück findet auch den Weg zu meiner Lippe, um mich stets an diese Schicksalsstunde zu erinnern.
Mein armes stolzes Boot!
Nur mit der einen Seite hing das Achterschiff noch an dem größeren Vorschiff, aber fast 30 Grad gekrängt. Tief lag es mit seiner Wunde im Wasser. Ein Verkehr zwischen beiden Schiffsteilen war nicht möglich.
Und meine drei Offiziere, mit denen ich fast ein Jahr auf so engem Raum verbracht, hatten einen schnellen Soldatentod gefunden. Ihre beiden Burschen waren im Tode bei ihnen geblieben.
Aber mein Boot schwamm, und das zu retten, galt es! [84]
Unterdessen fuhr das U-Boot um uns herum und betrachtete ab und zu durch das Sehrohr seinen Ruhm und unsere ohnmächtige Wut.
Mit ungeheurem Getöse entströmt der Dampf den Rohrleitungen der hinteren Maschine, deren Bedienungsmannschaften wie durch ein Wunder gerettet sind. Es ist ganz unmöglich auch nur 1 m weit mit der Stimme durchzudringen.
Einen nach dem andern greife ich und brülle ihm meine Befehle ins Ohr:
„Steuermann, mit dem vorderen Geschütz dauernd das Sehrohr beschießen, um das U-Boat an einem zweiten Schuß zu hindern!“
„Das Dingi aussetzen, die Leute vom Achterschiff abholen!“
„Die Reserve-F. T. ausbringen!“
„Das Schott zwischen dan beiden Maschinenräumen abstützen!“
„Scheinwerfer den Nebenmann anrufen!“
Antwort: „Scheinwerfer versagt!“
Auch das noch. Die Funkentelegraphie war mit dem Mast „von oben gekommen“. Jetzt hatte ich kein Signalmittel mehr, um den 6 sm entfernten Nebenmann zu erreichen.
Und gesehen hatte er nichts, weil die Gewitterböe gerade zwischen uns gewesen war.
„Vorderes Geschütz mit höchster Erhöhung auf das Nebenboot schießen!“
Meine Granataufschläge mußte er doch sehen!
Endlich! Sechs lange Minuten nach der Detona- [85] tion drehte er auf uns zu! Der Kommandant erzählte mir später, er habe geglaubt, ich sei im Gefecht mit Zerstörern, die auch auf ihn schon feuerten.
„Vorderes Geschütz das Sehrohr beschießen!“
Es war mein einziges Signalmittel.
Das andere Boot m u ß t e unseren Gegner vor dem Herankommen sehen, um nicht auch abgeschossen zu werden, wie es natürlich in dessen Absicht lag.
Fast schien es, als ob das Schicksal auch das noch verhindern wollte.
Das U-Boot war inzwischen auf die andere Seite gegangen und erwartete mit ausgefahrenem Sehrohr meinen Nachbarn, der kurz hinter mir vorbeifuhr. Mit aller Kraft suchte die Geschützbedienung das Rohr nach Backbord herumzudrehen auf das U-Boot zu, aber mein Boot lag so schwer nach der Seite über, daß das Schwenkwerk versagte. Schließlich gelang es doch mit einer Holzspake, und schon konnte der nächste Schuß unserm Retter den Platz des U-Bootes anzeigen.
Es war die allerhöchste Zeit! Kaum war unsere Granate eingeschlagen, als auch schon der Torpedoschuß auf das andere Boot fiel.
Uns allen stand wohl einen Augenblick das Herz still.
Gott sei Dank! Die Detonation blieb aus, also mußte dem Torpedoboot das Ausweichen gelungen sein. Und so war es auch.
Meinem braven Boot, das uns noch zwanzig Minuten getragen hatte, versetzte freilich dieser [86] Zwischenfall den Todesstoß. Durch die Hecksee, die das andere Boot bei seiner hohen Fahrt machte, brachen die beiden Teile auseinander.
Das Achterschiff sank, das Vorderschiff neigte sich langsam etwa 45 Grad nach Backbord.
„Klar bei Schwimmwesten!“
Wie ein Bienenschwarm schwirrten die Leute durcheinander, um jeder die mit seiner Nummer versehene Weste zu holen. Doch schnell kam wieder Ordnung hinein. Wie es so oft geübt war, trat die Besatzung an Deck an; nur die Geschützbedienung und das Heizraumpersonal blieben auf Station.
„Aus Heizraum und Maschine!“
In allen Räumen wird der Ruf wiederholt.
Da steigen sie herauf aud den engen Niedergängen der Heizräume, wo sie so brav ausgehalten haben bis fast zum Kentern.
Und jetzt kommt ein Augenblick, wie ich ihn schöner nie erlebt habe.
„Drei Hurras für S. M. den Kaiser!“
Kräftiger und begeisterter ist es nie aus Matrosenkehlen erklungen, höher wurden niemals Mützen geschwenkt! Und ein schöneres Echo hat nie ein Bergwald zurückgesandt als das Einstimmen der Besatzung des anderen Bootes! —
„Hand hoch, wer keine Schwimmweste hat!“
Kein Arm hebt sich.
„Alle Mann über Bord an Steuerbord! Frei schwimmen, so weit wie möglich!“ [87]
Da kommt ein Matrose zu mir mit einem umgehängten Folianten.
„Soll ich das Signalbuch mitnehmen?“
„Da werden Sie wohl versaufen! Werfen Sie es ins Dingi!“
Das dicke Buch mit seinen schweren Bleideckeln hat ein ganz gehöriges Gewicht. Aber in Feindeshand fallen darf es unter keinen Umständen.
Das Boot neigt sich bedenklich zur Seite und ist nahe am Kentern.
Wie ich allein auf der Kommandobrücke stehe, erklingt aus dem Wasser wieder ein dreifaches Hurra auf unser braves Boot und dann auf den Kommandanten. Man möge mir die Erwähnung nicht als Eitelkeit auslegen, ich bin sie meiner Besatzung schuldig als Zeugnis für ihren prächtigen Geist.
Schweren Herzens verlasse ich dann mein Boot, das mit durch fast vier Jahre so treu gedient hat.
Stolz war sein Leben. Stolz war sein Tod.
Noch einmal bäumte es sich auf in ohnmächtigem Zorn, hoch stand es aufrecht im Wasser, um dann langsam kerzengrade hinabzuleiten.
Wieder schallte ein dreifaches Hurra aus dem Wasser. Die schwimmende Besatzung brachte es dem sinkenden Boot und unseren gebliebenen Kameraden.
Schwierig gestaltete sich für das andere Boot das Bergen der fast neunzig Schwimmer. Das einzig gebliebene Rettungsboot faßte nur fünf Mann, die vier Verwundeten und einen Ruderer.
Uns unmittelbar aufnehmen war wegen der Nähe [88] des U-Bootes ausgeschlossen, da dieses das stilliegende Boot unweigerlich vernichtet hätte. Deshalb war der Kutter weitab auszusetzen. Nach Aufnahme von zwölf bis fünfzehn Mann mußte er dann wieder fortrudern, um an andern Platz unter stetem Wechsel seine Menschenladung auf das Torpedoboot abzusetzen.
Das Freibad dauerte demgemäß für die letzten recht lange.
Auch hier kann ich das Verhalten meiner prächtigen Besatzung nicht genug rühmen.
Beim Herankommen des Kutters ertönt der Ruf: „Zuerst der Kommandant!“ Und vielstimmig wird er wiederholt.
Recht unparlamentarische Ausdrücke mußte ich gebrauchen, um die Leute vor mir ins Boot zu bringen.
Neben mir erscheint ein Schwimmer in unverfälschtem Adamskostüm. Beim Näherkommen entpuppt sich der Fähnrich vom Führerboot.
„Können Herr Kapitänleutnant noch schwimmen?“
„Sie sind wohl ganz von Gott verlassen! Was wollen Sie denn hier?“
„Ich wollte nur Platz machen im Boot, damit einer mehr hinein kann.“
„Nun aber schleunigst wieder hinein! Wir haben Schwimmwesten um.“
Schließlich wurde auch der letzte Mann geborgen.
Das Torpedoboot brachte uns nach Emden, wo uns ein herzlicher Willkomm zuteil wurde.
Nach vierzehn Tagen gingen wir geschlossen auf [89] ein anderes Boot über. Wohlgemut und zu neuen Taten bereit.
Aber die Engländer hielten uns für erledigt, haben sich sogar als „Gentlemen“ unseren Tod teuer bezahlen lassen. In „Lloyds List“ war es schwarz auf weiß zu lesen, daß Kommandant und Besatzung des britischen U-Bootes „E 16“ für die Zerstörung unseres Bootes die Summe von 465 Pfund nach dem Urteil des Londoner Prisengerichts erhalten haben.
Möge ihnen ihr Judaslohn gut bekommen! Wir gönnen’s ihnen! [90]

Windau

„Wie kommt ihr denn in die nördliche Ostsee?“
„Sehr einfach und sehr schnell. Funkspruch: Erste Flottille sofort nach Libau fahren.“
Fünf Minuten später waren die Anker gelichtet, und frohen Mutes ging’s davon, war ich persönlich doch noch nicht da oben gewesen.
Aber diese Freude war nicht von langer Dauer.
Die Ostsee sieht so hübsch klein aus auf der Karte, und doch hat sie sich uns als höllisch unangenehmes Gewässer vorgestellt.
Von Libau aus wurden wir jeweils fortgeschickt zum Handelsschutz. Da habe ich denn meine Auffassung über die kleinen Entfernungen in der Ostsee gründlich umgekrempelt.
Die Lichtblicke auf diesen Streifen waren die kurzen Stunden der Ruhe in Windau an der Mündung des gleichnamigen Flusses in Kurland, einem nicht unwichtigen Ausfuhrhafen für Holz und Getreide. Vor dem Kriege waren recht umfangreiche Kaianlagen entstanden, und eine weit ins Meer hinaus fassende Mole schloß im Halbkreis ein Hafenbecken ab. Nur eine kleine Öffnung war geblieben für das ausströ- [91] mende Wasser des Flusses und gleichzeitig als Einfahrt für die Schiffe.
Aber wie alles in Rußland, so war auch dies nur unvollkommen. Eine schmale Fahrrinne führte von der äußeren Einfahrt durch das Becken zum Fluß mit den Kaiflächen. Der ganze übrige Teil war selbst für flachgehende Fahrzeuge unbenutzbar.
Jetzt sah der Hafen wüst aus.
Die Russen hatten vor ihrem Abzug alles zerstört, was nur zerstörbar war.
Die Leuchttürme waren gesprengt worden und lagen in Trümmern, in die äußere Mole waren große Breschen geschlagen, durch die die See ihre Zerstörung vollkommen machen sollte.
Die Flußmündung war durch vier Dampfer gesperrt, die quer zum Strom den Raum zwischen den beiden Molen ausfüllten. Nur Reeling, Schornstein und Masten ragten aus dem Wasser empor. Schräg lagen sie übereinander, als wenn der Dampfer zu innerst umgefallen wäre und die andern unter sich erdrückt hätte.
Bei diesem Anblick mußte ich unwillkürlich an jenen baumlangen Leutnant denken, der zum ersten Mal vor der Front erscheint. Im zweiten Glied grinst ein Mann.
„Zum Donnerwetter, weshalb grinsen Sie?“
Verlegenes Schweigen.
„Heraus mit der Sprache!“
„Ich dachte, wenn Herr Leutnant nu umfallen, sind wir alle dot.“ [92]
Heute freilich bildeten diese Schiffe kein Hindernis mehr.
Du lieber Himmel, wie sah es aber erst drinnen im Fluß aus!
Statt der Kaiflächen nur hier und da verkohlte Reste von Balken und Pfählen — mit Petroleum hatte man zum Entfachen des Brandes anscheinend nicht gespart.
Traurig hingen die mächtigen Elevatoren eines riesigen Speichers geknickt herab. Die Füße waren ihnen gesprengt.
„Kommt denn niemand, uns wieder aufzurichten?“
„Nein, ihr könnt warten.“
Die Stadt hat unter dem Feuer nicht gelitten. Nur ein Holzlager und vier bis fünf Häuser haben daran glauben müssen.
Aber menschenleer ist die Stadt. Auf der Straße trifft man kaum jemand, abgesehen von deutscher Landwehr. Öde und verlassen liegen die Häuser.
Am Fluß steht auf künstlich zusammen gefahrener Anhöhe ein fast rechteckiger schwerer Bau:
Das alte Schloß, vor dem Kriege russisches Gerichtsgebäude und Gefängnis.
„Das müssen wir uns doch ansehen.“
Eine ganz kleine Tür führt uns durch meterdicke Mauern in einen dunklen Vorraum. Von hier gehen noch kleinere Türen in die alten Wohnräume, zuletzt Amtszimmer des russischen Herrn Amtsrichters samt seinem Sekretär. [93]
Ich trete ein, pralle aber sofort zurück.
„So etwas habe ich noch nicht gesehen!“
„Nur Mut“, sagt mein Begleiter.
Die Russen müssen es doch recht eilig gehabt haben mit ihrer Flucht.
Die Fußböden bildeten ein wahres Durcheinander von zerrissenen Akten, Briefen, Photographien von Verbrechern, Büchern, Uniformstücken, Röllchen, Vorhemden.
Nicht ein Stück war heil.
Als ob der abziehende Amtsrichter sich gescheut hätte, an das altehrwürdige Schloß ein Streichholz zu halten, und doch sollte allles zerstört werden.
Durch einen dunklen Gang gelangten wir in eine geräumige Kapelle, den einzigen sauberen, menschenwürdigen Raum im ganzen Gebäude.
Hier war noch alles in Ordnung. Ungezählte Heiligenbilder hingen an den Wänden, alte prächtige, in Schweinsleder gebundene Kirchenbücher lagen sorgsam in ihren Regalen, nur die ewige Lampe war erloschen.
Über eine Hühnerstiege, wie sie primitiver kein Laie zimmern kann, kletterten wir auf einen Bodenraum.
Fußbodenbelag fehlte schon seit Jahren; in allen Ecken nisteten Tauben. Dazwischen in stilvoller Unordnung Gewänder der Geistlichen, Prozessionsgerät und Heiligenbilder, die wohl in der Kapelle keinen Platz mehr gefunden hatten. [94]
„Wir müssen uns aber noch das Gefängnis ansehen.“
„Ja, das ist zweifellos sehenswert.“
Im innern Hof, wie wir ihn auch bei alten deutschen Schlössern finden, treffern wir einen Landwehrunteroffizier mit riesigem Schlüsselbund.
Wir fragen, ob wir eintreten können.
„Ei cha“, antwortet der biedere Sachse, der inzwischen zum Gefängniswärter ernannt ist.
Eine schmale Treppe führt uns in die Galerie des ersten Stockwerkes, die als Werkstatt für die Gefangenen eingerichtet ist. Ein Jammer um den schönen Bogengang.
Im zweiten Stockwerk befindet sich das Gefängnis.
„Wozu wird es denn jetzt benutzt?“
„Es sind fünfzehn Zivilgefangene darin. Teils Verurteilte, teils Leute in Untersuchungshaft wegen Diebstahl und Spionage.“
Neugierig treten wir an die Beobachtungslöcher, die in die Türen eingelassen sind,
„Na, das sieht ja höchst anständig aus da drinnen!“
„Unter einem russischen Gefängnis hatte ich mir eine ganz andere Spelunke vorgestellt.“
Die alten Schloßräume in ungeschmälerter Größe! Enttäuscht wanderten wir wieder hinab.
Schon ertönten die Sirenen, das verabredete Zeichen, daß wir wieder in See gehen sollten, hinaus in „unseren“ Schützengraben. [95]

Schlecht Wetter

„So schlechtes Wetter wie hier oben habe ich in meiner Praxis noch nicht erlebt!“
„Es bewahrheitet sich eben immer wieder das Sprichwort: Nur die Dummen fahren zur See.“
„Und dabei würde so mancher noch ’nen Taler ausgeben, wenn er mitfahren könnte,“ preßt der H. I. mühsam aus seiner gequälten Kehle hervor.
Er fühlt sich mit seinen zwei Zentnern noch gar nicht recht wohl in den engen Torpedobootsverhältnissen. Und dabei die Kammern so eng, daß er des Morgens, um in die Beinkleider zu kommen, die Beine aus der Tür in die Messe strecken muß, wo die andern Herren schon beim Frühstück sitzen. Er als „Badegast“ kann es sich leisten, zuletzt aufzustehen.
So gelingt es ihm vielleicht, schlanker zu werden. Denn das ist zweifellos der Zweck seiner Kommandierung auf ein Torpedoboot.
Und da ist er denn gerade vor unserer Ostseefahrt eingestiegen. Das Torpedoboot mit seinen dauernden Erschütterungen wirkt noch viel besser als elektrische Wackelstühle. Dazu das schlechte Wetter mit [96] seiner unvermeidlichen Seekrankheit und dem versalzenen Brot.
Schön ist in der Tat etwas anderes, als im Dezember in der nördlichen Ostsee zur See fahren zu müssen.
Vermummt wie die Nordpolfahrer standen wir auf der Brücke. Wolle in mehreren Auflagen übereinander, Oelrock, Amoretten und ein Handtuch um den Hals geschlungen, damit einem das Wasser nicht hinabläuft.
Jetzt vor der See geht’s ja noch; aber wie wird es auf der Rückfahrt werden, wenn wir gegen Wind und Wellen anmüssen?
„Lieber Gott, laß Morgen werden, Abend wird’s von selber. Wenigstens für uns Torpedobootsfahrer.“
Der Wind briest bedenklich auf.
Funkspruch: „Torpedoboote Schutz suchen unter Land.“
Gott sei Dank. Aber bis wir dort sind, können noch vier bis fünf Stunden vergehen.
Das Führerboot läuft immer weiter.
Nach einer halben Stunden scheint mir die Sache denn doch nicht zu stimmen.
„Megaphon!“
„Gut heranscheeren“.
10 m sind zwischen uns.
„Führerboot! Haben Sie den Funkspruch nicht bekommen?“
„Nein! Hergeben!“
Endlich macht es kehrt. [97]
Klatsch! Die erste See auf die Brücke!
Das kommt davon, wenn man nicht aufpaßt. Wie ein begossener Pudel schüttele ich mir das Wasser ab, doch ohne Erfolg.
Bei der großen Kälte wird es sofort zu Eis. Das Oelzeug wird hart und ungemütlich und überzieht sich mit einer Eiskrüste. Wenn ich mich bewege, knackt es.
Gerade gegen die See geht es.
Nun wird’s munter an Bord. Alle paar Sekunden haut das Vorschiff tief hinein, schöpft mit der Back das Wasser und wirft es beim Aufstampfen nach hinten über die Brücke.
„Vordermann aus Sicht“, meldet der Rudergänger.
Die Glasscheiben vor ihm sind vereist, und der Vordermann fährt abgeblendet, ohne jedes Licht. Wie immer, um sich dem Feind nicht zu verraten.
„Fensterscheiben heraus!“
Schneidend fährt der Wind herein und überzieht im Augenblick mit dem mitgeführten Wasserstaub alles mit einer Eiskruste.
„Signalgast! Morsen Sie ’rüber, bitte Hecklaterne anstellen!“
Der arme Kerl.
Um seinen Morsespruch mit einer kleinen elektrischen Lampe abgeben zu können, muß er über das Schutzkleid klettern und bekommt nun jede See über sich.
Hinten stützt ihn einer ab. [98]
Das Führerboot versteht und stellt Licht an.
Weit ist’s ohnehin nicht zu sehen. Verraten wird es uns sicher nicht.
Auf und nieder tanzt vor uns das weiße Hecklicht im regelmäßigen Takt und verschwindet hinter jedem Wellenberg.
Verflixt, jetzt schneit es auch noch!
„Rudergänger, gut dran bleiben!“
Weg ist er, der Vordermann.
Vorsichtig wird etwas Fahrt vermehrt, da taucht sein Hecklicht wieder auf, fast neben unserer Brücke.
Immer gröber wird die See.
Aus der Versenkung der Mannschaftsräume taucht einer nach dem andern empor. Gut, daß es pechrabenschwarze Nacht ist und man die Gesichtsfarbe nicht erkennt.
Ah! Das tut gut, die frische Luft und das Durchnäßtwerden!
Aber wie lange? „Kettestecken“(8) bleibt nicht aus — und im Hintergrunde grienen die Gesunden mit ihrem vergnügtesten, harmlosesten Gesicht.
Ja, gewöhnt man sich denn nicht an die Seefahrt?
Nein, auf einem Torpedoboot nie. Wer überhaupt daran leidet, wird bei den unglaublich heftigen und unregelmäßigen Bewegungen des Bootes immer wieder seekrank. Die ältesten Deckoffiziere, die zwanzig Jahre und mehr auf Torpedobooten fahren, opfern wie der jüngste Rekrut. [99]
Und doch frage man einmal einen mit der roten Biese: „Wollen Sie lieber auf ein dickes Schiff?“
Ein vielsagendes Lächeln ist die Antwort. —
Vier bis fünf Stunden hatte ich gesagt, würden wir brauchen, bis zu einer geschützten Bucht? Du lieber Himmel!
In dieser Nacht war nicht daran zu denken, unter Land zu gehen. Bei solchem Wetter konnte kein Mensch wissen, wo auf der lieben Ostsee wir uns eigentlich aufhielten.
Mühsam, gänzlich durchnäßt kommt mein braver Bursche auf die Brücke.
„Soll ich Herrn Kapitänleutnant etwas zu essen bringen?“
„Ja, und etwas Tee.“
„Kochen können wir nichts, das Feuer in der Kombüse wird gleich ausgeschlagen.“
„Also Brot.“
„Pfui Deubel, das ist ja gar nicht zu essen vor Salz.“
Jawohl. Unten steht alles unter Wasser, und über Deck kann man auch nicht kommen.
Das alte Lied: nur immer wieder hat man die stille Hoffnung, daß man einmal in See ein Stück „trocken“ Brot bekommen könnte.
Um zwölf Uhr mittags waren wir in Windau.
Winkspruch: „Sofort Kohlen ergänzen! Um 3 Uhr mit „Bremen“ in See gehen!“
Also wieder hinein ins feuchte Vergnügen!
Aber in Gesellschaft eines großen Schiffes hat man [100] wenigstens die Aussicht auf eine bessere Navigierung, die bei den Torpedobootsverhältnissen manchmal etwas schwierig ist.
Dennoch ist uns mancher derbe Mannesfluch entschlüpft.
Schlimmer kann es wohl nicht mehr werden.
Jawohl! Irren ist menschlich — das sollte uns wieder einmal vor Augen geführt werden.
Mühevoll quälten wir uns hinter der „Bremen“ drein. Unsere einzige Fruede war, daß sie ähnlich tanzte wie wir. Ein Genuß konnte die Seefahrt dort drüben auch nicht sein.
Entsetzlich langsam schlichen die Stunden. Zwei Tage und Nächte stand ich nun schon ohne Unterbrechung auf der Brücke, in fortgesetzter wechselseitiger Kniebeuge, um bei dem Rollen des Bootes das Gleichgewicht zu halten, und mit beiden Händen am Geländer angeklammert. Wer sich im Augenblick des Ueberholens losläßt, der schlägt hin, unweigerlich. Mit den Amoretten den Bewegungen des Bootes folgen, das ist unmöglich.
Da, beim Hellwerden am nächsten Morgen, erlebte ich den entsetzlichsten Augenblick meines Lebens.
Wir liefen schräg vor der See. Plötzlich faßt ein haushoher Brecher das Heck und bricht über Deck, etwa 2 m hoch über dem Boot.
Langsam neigt es sich, fast bis zum Kentern unter dem Donnern des Brechers und Krachen des zersplitterten Mastes, des zertrümmerten Kutters.
Das Herz stand mir still. [101]
„Hart Backbord! Beide Maschinen kleine Fahrt voraus!“
Vor die See und möglichst langsam, damit sie, schneller als das Boot, drunter fortrollt.
An ein Aufrichten glaubte ich nicht. Dazu sämtliche Leute unter Deck, und wer oben war, hatte Oelzeug an.
Im Augenblick stand mir das Kentern von „S 26“ in der Elbmündung 1897 unter dem Kommando des Herzogs zu Mecklenburg vor Augen.
Das Gefühl, seine sämtlichen Leute restlos verloren zu wissen, ist wohl das Schlimmste für einen Vorgesetzten.
Die Sekunden wollten nicht vorwärts.
Endlich! Langsam, ganz langsam richtet sich das Boot wieder auf.
Neben mir murmelt mein alter Steuermann, ein „seebefahrner Mann“:
„Junge, Junge, dat har ik nich dacht, dat he noch mol wedder hoch kamen wir.“
Im selben Augenblick ertönt von achtern der Ruf, der jedem Seemann, selbst den rauhesten Gesellen, durch Mark und Bein geht: „Mann über Bord!“
„Hart Steuerbord! Beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“
Herum mit dem Boot! Möglichst kurze Zeit quer zur See liegen!
Ein Unteroffizier kommt auf die Brücke.
„Mit dem Backbordmaschinengewehr ist eben ein Mann über Bord gegangen.“ [102]
„Was hatte er an?“
„Ölzeug, Seestiefel.“
Also rettungslos verloren — er mußte wie ein Stein sinken.
Langsam fuhren wir gegen die See zurück und benutzten die Augenblicke des Trockenseins zum Auspähen.
Mit jeder Minute schwand die Hoffnung mehr und mehr.
Der brave Kerl!
Sein Maschinengewehr hatte er säubern wollen, da hatte ihn die See gepackt und ihn samt seiner Waffe über Bord gespült.
Schweren Herzens gab ich endlich das Suchen auf.
Das erste Mal in meinem Leben, daß auf meinem Schiff ein Mann über Bord gefallen und nicht gerettet war.
Schön ist die Verantwortung, aber auch unendlich schwer. —
Mittags langten wir in Libau an. Fünfundfünfzig Stunden hatte ich oben gestanden, etwa wie auf einer Schaukel, die von einem zweiten ganz unregelmäßig hin und her geworfen, dazu alle fünf bis sechs Sekunden mit einem Eimer Wasser übergossen wird, dessen Inhalt sofort gefriert.
Fingerdicke Taue waren armdick beeist.
Die Boote sahen aus, als ob sie einem Wintermärchen entschlüpft wären…. [103]

Mit S. M. S. „Bremen“ gesunken

„Um 3 Uhr seeklar!“
Das Wetter hatte sich gelegt, das Schneetreiben aufgehört. Aus Nordwest stand noch eine leichte Dünung, die letzten Atemzüge der aufgeregten See.
Seit Wochen schon waren wir der „Bremen“ zugeteilt gewesen, das Führerboot und ich. So liefen wir denn auch jetzt wieder einmal aus zu gemeinsamen Tun.
In kreisrunder Scheibe stieg der Vollmond über russischen Landen empor und erleuchtete ganz unnötig die wolkenlose Nordlandsnacht.
Nach Westen ging unser Kurs.
Zwei Stunden waren wir unterwegs. Ich stand im Kartenhaus auf der Brücke und setzte die Kurse auf der Karte ab.
Plötzlich ein dumpfer Krach! Ein Zittern! Ein Splittern der Glasscheiben rings um mich her!
Nach dem Bruchteil einer Sekunde wußte ich von nichts.
Nach kurzer Zeit kam ist wieder zur Besinnung und fand mich an Deck in dem engen Raum zwischen Schornstein und Kartentisch wieder. Zu mir herein lachte der Vollmond. [104]
Auf allen vieren kroch ich aus meinem Käfig. Durch die Detonation war die geschlossese Tür zum Kartenhaus zertrümmert worden. Sonst hätte mich mein Boot in meinem Gefängnis mit hinabgezogen in die Tiefe.
An der Steuerbordseite der Brücke „Sammelte“ der wachhabende Offiziere seine „Knochen wieder zusammen“. Ganz verdutzt rieb er sich sein varlängertes Rückgrat, das ihm infolge des unfreiwilligen Hinsetzens sehr fühlbar geworden war.
Die Backbordseite der Brücke war zertrümmert. Einige Leute hatten die bei Unterwasserdetonationen so typischen Fuß- und Unterschenkelbrüche. Der Rudergänger, der unter dem Scheinwerferdach stand, kletterte von oben herunter.
„Wo kommen Sie denn her?“
„Ich weiß gar nichts.“ Er war ganz durcheinander.
Das Eisendach über ihm hatte sich aufgetan, schneller, als der Mann fliegen konnte, und ihn hindurchgelassen, ohne ihn im geringsten zu verletzen.
Ein Blick über das Brückengeländer.
Das Vordeck lag tief unter Wasser, das Boot war an Backbord neben dem vorderen Kesselraum getroffen. Die Manschaften aus den vorderen Wohnräumen standen auf der Back.
„Alle Mann aufs Achterschiff! Klar bei Schwimmwesten!“
Zum wachhabenden Offizier: „Holen Sie sämtliche Leute nach achtern!“ [105]
Viel Zeit war nicht zu verlieren. Bis zu den Knien watete ich durch das Wasser achteraus.
„Beide Boote aus!“
„Herr Kapitänleutnant, der Kutter ist kaputt.“
Ein Sprung, und ich war da.
So ein Pech! „Bei der Detonation ist er durch seine Klampen, die Lagerung, hindurchmarschiert!“
„Mag ein schöner Druck gewesen sein!“
„Wer hat keine Schwimmweste? Hand hoch!“
Gar zu viele Hände hoben sich, hatte doch die Detonation vorn alle Schwimmwesten vernichtet.
„Hände ’runter! Wer von diesen kann nicht schwimmen?“
Das ging schon eher!
„Sechs Mann ins Dingi!“
„Das Uebrige stillgestanden! Drei Hurras für Seine Majestät den Kaiser! Hurra, hurra, hurra!“
Ich greife an meinen Kopf, um die Mütze zu schwenken — sie fehlt. Na, dann geht’s auch ohne dem.
Da kamen auch schon die Ruderboote von der „Bremen“ und meinem Führerboot längsseit.
„Die Verwundeten und Leute ohne Schwimmwesten in die Boote!“
„Bootssteurer nicht zu viel mitnehmen!“
Das Führerboot kommt von achtern heran, um selber längsseit zu kommen.
„Die Torpedorohre einschwenken!“
Schon sitzt der Torpedooffizier auf dem Löffel des Rohres und nimmt die Pistole heraus. Das fehlte [106] gerade noch, daß eigener Torpedo losgeht, wenn das andere Boot dagegenfährt!
Das elektrische Licht brennt immer noch.
„Maschine räumen!“
Jetzt legt das Führerboot mit seinem Vorschiff hinten bei mir an. Zu weit nach vorn darf es nicht, kann doch bei dem Tiefertauchen des Bootes in jedem Augenblick bei dem kalten Wasser ein Kessel hochgehen.
O weh! Es schlingert gewaltig. Ein Übersteigen ist ausgeschlossen.
Die „Bremen“ legt sich davor, um Lee zu machen.
Dann, ganz wider Erwarten, liegen für einen Augenblick die Boote ruhig, als ob unser Gott es wollte, daß wir gerettet würden.
Rasch kletterten die Leute hinüber.
„Verflucht! Ist das kalt auf dem Kopf!“
Ich wickle mir meinen Schal um die Ohren.
Die letzten Leute klettern hinüber.
Wieder setzt das Schlingern ein.
Wir vier Offiziere stehen noch auf dem braven Boot, das schon die Schrauben in die Luft hebt, und können uns nicht von ihm trennen.
„Führerboot, Sie können ablegen! Wir bleiben hier und wollen versuchen, es zu schleppen.“
„Unsinn, ich komme wieder längsseit!“ ruft der H. Chef (Halbflottillenchef) zurück.
Der Oberingenieur greift in die Tasche.
„Donnerwetter!“ Dann will er hinunter in seine Kammer. [107]
Einer der Leutnants sieht es, hält seine zwei Zentner fest und fragt: „Was wollen Sie unten?“
„Geht Sie nichts an!“
„Ich weiß schon. Sie kommen ja nie wieder herauf!“ Sprach’s, sprang hinunter und kam mit einem kleinen, blanken Ding wieder herauf. Schweigend gibt er es dem H. I.
Das Führerboot ist wieder längsseits.
Ich kann mich nicht so leicht trennen, kann nicht glauben, daß mein Boot sinkt.
Wieder rufe ich hinüber: „Wollen wir es nicht zu schleppen versuchen? Es hält sich scheinbar!“
„Nein, Sie müssen herüberkommen!“
Mein zweiter Leuntant, ein Bayer, der auf monatelanger Reise als blinder Passagier von Bangkok zurückgekehrt war, klettert auf den Turm, die Jacke hat er schon längst nicht mehr an.
„Halt! Was wollen Sie?“
„Die Flagge mitnehmen!“
„Nein, lassen Sie! Mein Boot soll mit wehender Flagge sinken! Das ist keine Regimentsfahne!“
Nun fällt ihm seine Instruktion aus ferner Rekrutenzeit wieder ein. Ganz geknickt kommt er herunter.
„Bitte, schnell hinüber!“
Einer der Leutnants besinnt sich noch, er denkt: möchtest wohl der Letzte sein.
„Vorwärts, mich „behumpsen“ Sie nicht.“
Der H. I. tritt einem Fuß auf das Geländer und faßt mit den Händen die Brücke des andern Bootes. Seine ganze Körperfülle hängt in der Luft. [108]
Bei diesem Anblick vergißt ein Heizer, daß er Soldat ist, und meint treuherzig: „Das ist ja fein, daß Sie auch hier sind!“ Faßt ihn und will ihn stützen. Der H. I. läßt los, und schon liegen sie beide an Deck.
Ich selbst habe nur einen Fuß auf das Geländer des andern Bootes gesetzt, da packen mich ungezählte Männerfäuste und ziehen mich hinüber.
Mein schönes Boot sollte ich nicht wieder betreten.
Und doch schien es, als ob es nicht tiefer sinke.
Ich melde mich beim H. Chef.
„Wir wollen versuchen, Ihr Boot in Schlepp zu nehmen. Aber ich halte es für ausgeschlossen, daß es schwimmen bleibt.“
„Kutter längsseit!“
Ein Kutter von der „Bremen“ kommt heran.
„Sechs Freiwillige vor!“
Meine Leutnants sitzen schon im Kutter, meine Matrosen kommen ausnahmslos. Schnell die ältesten ausgesucht, dann hinein und hinüber gerudert.
Zu spät! Der H. Chef hat recht behalten. Wir sind noch nicht angelangt, da richtet sich das Boot steil auf mit dem Heck hoch in die Nacht hinauf.
Zehn Meter mochte es aus dem Wasser emporragen, da schien es auf dem Grund zu stehen. Ein Augenblick kämpfte es noch, dann legte es sich auf die Seite. „Drei Hurras für unser altes Boot!“
Fort war es.
Traurigen Herzens kehrten wir zurück auf das Führerboot.
Kaum bin ich wieder auf der Kommandobrücke [109] des Führerbootes angelangt, da läßt uns ein gewaltige Detonation auf der „Bremen“ zusammenfahren. Über masthoch schlagen die glutroten Flammen gen Himmel. Kein Maler könnte es darstellen.
Dann liegt eine schwarze Wolke über ihrem Vorschiff, so daß wir, die wir recht vor ihr standen, nichts vom Schiff sahen.
Das ganze Schiff ist weg, packt’s uns im Augenblick.
Nein, gottlob, sie schwimmt, aber das Vorschiff tief im Wasser.
Sie sinkt schnell.
Da tut rasche Hilfe not.
Mit äußerster Kraft schlagen wir einen Kreis, um hinten längsseit zu gehen und die Leute aufzunehmen.
Drei Hurras schallen durch die Nacht, dann verschwindet das Vorschiff unter Wasser. Des Heck ragt hoch empor, schwarz voll Menschen.
Wir müssen heran!
Mit einem Ruck ist das schöne Schiff verschwunden, die ganze Besatzung mit sich nehmend.
Ein Kutter nur ist unversehrt, dazu ein paar Flöße.
Was nicht vom Strudel verschlungen, wird von ihnen geborgen und dann von uns aufgenommen. Viele heben wir unmittelbar aus dem Wasser zu uns.
Aber wie viele Brave sind bei der ungeheuren Detonation gefallen und nachher in den Strudel hinabgezogen worden. Und darunter meine wackeren Leute, soweit sie auf die „Bremen“ hinübergerettet waren. [110]
Wir waren jetzt allein auf weiter See. Wann wird uns das gleiche Geschick ereilen?
Doch unser Gott meinte es anders mit uns.
In wenigen Stunden waren wir in Libau, wo wir auf dem Lazarettschiff „Schleswig“, das manchem von seinen schönen Orientfahrten her bekannt sein wird, liebevolle Aufnahme fanden.
Zwei Tage später saßen wir auf der Bahn, um nach Hause zu fahren.
Gar mancher Reisende zwischen Königsberg und Hamburg wird erstaunt den Kopf geschüttelt haben, als er uns in unsern mehr als dürftigen Uniformen sah.
Mit Freuden gedenke ich heute der halb bedauernden, halb an meinem Geisteszustand zweifelnden Blicke, mit denen ich mit meinem bepflasterten Auge, mit meiner zerrissenen Jacke, mit Lackstiefeln, kragenlos, im Speisewagen des D-Zuges bedacht wurde, als ich den Genüssen der Tafel huldigte. Und dankbar gedenke ich eines Mitreisenden, der in liebenwürdigster Weise meine Leute ebenfalls im Speisewagen bewirten ließ.
So kamen wir in Kiel an, nicht mit dem Boot, wie wir ausgefahren waren, nein, über Land! Und gar zu viele meiner Braven fehlten!
Das liest sich in der Zeitung so kurz und einfach:
„Am Nachmittag des 17. Dezember sank…“
Und doch läßt sich nichts Entsetzlicheres erleben.

- - - - -

(8) Bezeichnung für das Verlängern der Ankerkette, übertragen auf das Opfern der Seekranken.

[ENDE]

Link to comment
Share on other sites

Create an account or sign in to comment

You need to be a member in order to leave a comment

Create an account

Sign up for a new account in our community. It's easy!

Register a new account

Sign in

Already have an account? Sign in here.

Sign In Now
×
×
  • Create New...